Westermarsch I

Aus Norder Stadtgeschichte
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Westermarsch I

Wappen
Höhe 0,0 - 2,0 m ü. NN
Fläche 19,424 km²
Einwohner 402 (31.12.2022)
Gründung um 1821
Eingemeindung 1. Juli 1972
Bevölkerungsdichte 21 Einwohner/km²

Westermarsch I ist ein Stadtteil von Norden und hat 402 Einwohner (Stand: 31. Dezember 2022), die sich auf einer Fläche von rund 19,42 km² verteilen.

Namensherkunft

Der Name Westermarsch I kennzeichnet einerseits den vorherrschenden Landschaftstyp des Ortes (Marsch) und bezeichnet andererseits seine Lage im Westen des Norderlandes bzw. der Stadt Norden. Durch die römische Ziffer unterscheidet sich der Ort von Westermarsch II.

Erstmalige Erwähnung findet die Westermarsch in 1361. Spätere Bezeichnungen waren ebenfalls Westermarsch (1541 / 1542). In 1553 wird die Bezeichnung die Westermersch erwähnt. 1823 und 1826 folgen dann Westermarsch 1. und 2. Bauernschaft und schließlich die heutige Bezeichnung ab 1858.

Wappen

Das Wappen des Ortes zeigt eine silberne, schräglinks gestellte Linde, die aus dem Schildrand wächst und ein goldenes, sechszackiges Sporenrad auf grünem Grund. Die Neigung des Baumes verweist auf die Lage des Ortes an der Küste, in der der Wind oft von der See in den Ort peitscht und viele Bäume zu sogenannten Windläufern wachsen lässt. Das Sporenrad weist auf die Zugehörigkeit zur Stadt Norden hin, welches diese ebenfalls im Stadtwappen verwendet und aus dem Wappen bis ins 15. Jahrhundert vorherrschenden Häuptlingsfamilie Idzinga übernommen hat.

Der grüne Hintergrund spielt wohl auf die für den Ort wichtige Landwirtschaft an oder auf seine im Vergleich zu Westermarsch II eher im Hinterland befindliche Lage. Das Wappen von Westermarsch II hingegen hat einen blauen Grund, was seine hauptsächliche Lage an der Wasserkante bzw. Deichlinie verdeutlichen soll.

Bevölkerungsentwicklung

Jahr Einwohner
1771 600
1821 440
1823 436
1848 513
1867 548
Jahr Einwohner
1871 565
1885 626
1905 580
1925 600
1933 567
Jahr Einwohner
1939 513
1946 731
1950 747
1955 645
1956 562
Jahr Einwohner
1961 539
2009 454
2010 470
2016 442
2020 406
Jahr Einwohner
2021 402
2022 402

Geografie

Westermarsch I befindet sich im Kalkmarschgebiet östlich der Leybucht in einer Höhe von bis zu 2 Metern über Meeresniveau (NN). Durch Eindeichungen gewannen die Bewohner der Nordsee bzw. Leybucht, die heute noch die westliche Grenze bildet, im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neues Land ab. An der alten Landseite, dem Langhauser Weg, ist der Boden schwärzlich und schwer, besonders in der Gegend vom Groß Langhaus, welches den schwärzesten Boden hat. Nach Süden hin wird der Boden sandiger und hellfarbiger.

Im Norden grenzt Westermarsch I an Westermarsch II, im Osten an die Westgaste und Vierzig Diemat sowie im Süden an Neuwesteel und Süderneuland I. Im Westen begrenzt die Leybucht das Gebiet. Die südliche Grenze nach Neuwesteel und Süderneuland I verläuft ungefähr entlang des Norder Tiefs.

Im Osten und im Norden ist die Abgrenzung deutlich schwieriger und historisch gewachsen. Sie folgt keiner auf den ersten Blick erkennbaren Logik, sondern bezieht sich vielmehr auf einzelne Grund- bzw. Flurstücke, die entsprechend ihrer Besitzverhältnisse bzw. Zugehörigkeiten zu den Rotten entweder zu Westermarsch I oder II gehören. In etwa kann man jedoch sagen, dass die Stadtgrenze von Norden südöstlich am Norder Tief beginnt, entlang von Vierzig Diemat bzw. dem Bürgermeisterviertel hoch bis zum Altendeichsweg und von dort nach Westen hin bis zum Langhauser Tief verläuft. Von hier aus verläuft sie weiter in nördliche Richtung einige hundert Meter an der Ziegeleistraße entlang bis kurz vor den Warfertogschloot. Die von hier nach Westen hin verlaufende nördliche Grenze folgt nun keinem klaren Muster mehr, hier sind - wie vorher beschrieben - historische Besitztümer einzelner Marschbauern die Grenze, die sich nur schwer umschreiben lassen.

Geschichte

Mittelalter

Die Westermarsch auf einer Karte von Ubbo Emmius (um 1595).

Durch die erstmalige Erwähnung der Westermarsch im Jahre 1361 lässt sich eine frühere Besiedlung dieser Gegend ableiten. Für den Bereich der Mittelmarsch weisen archäologische Funde auf eine Besiedlung vor dem 16. Jahrhundert hin, als dort mutmaßlich ein Werkplatz von Warftbewohnern gefunden wurde.

Seit Anbeginn der Besiedlung ist das Land den Launen der Nordsee ausgeliefert. Sturmfluten und damit einhergehende Überschwemmungen bestimmten seit jeher den Verlauf der Deichlinie und machten den Bewohnern das Leben schwer. Dennoch lag es ihnen fern, das Land einfach aufzugeben, da der Marschboden äußerst fruchtbar war und sehr gute Erträge lieferte.

Bis zum vollständigen Untergang der nordwestlich von Westermarsch gelegenen Insel Bant konnten sich die Menschen mit relativ niedrigen Deichen schützen und errichteten ihre Häuser auf Warften, die sie je nach Bedarf erhöhten. Warften sind künstlich geschaffene Erhöhungen der Landschaft. Man kann sie sich als Hügel vorstellen, auf denen die Erbauer ihre Gebäude errichteten. Noch heute sind viele Warften in der Landschaft unverändert gut erkennbar und viele Gebäude stehen weiterhin auf solchen.

Ihre Ländereien schützten die Bewohner, wenn überhaupt, mit kleinen Dämmen vor den Fluten der Nordsee. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begann man, diese kleinen Ringdeiche seewärts miteinander zu verbinden, so dass in den ersten Jahrzehnten nach 1100 ein fast geschlossener Hauptdeich entstand. Die damaligen Deiche waren in ihrer Bauweise jedoch keinesfalls mit den heutigen zu vergleichen und boten nicht immer Schutz. Besonders verheerende Deichbrüche und dadurch folgende Überschwemmungen sind für die Jahre 1164, 1196, 1219 und 1334 überliefert.

Die Zweite Marcellusflut, die auch als Grode Mandränke (Großes Ertrinken) in die Geschichte einherging, richtete 1362 große Verwüstungen in der gesamten Westermarsch an. Zahlreiche Menschen und Tiere kamen ums Leben, ein Großteil der Gebäude und Felder wurde zerstört. Auch gerieten weite Landesteile der Westermarsch unter Wasser, die erst Jahrhunderte später durch Eindeichungen wieder dem Wasser abgewonnen werden konnten. Die im 9. Jahrhundert entstandene Leybucht gelangte zu ihrer größten Ausdehnung, die Einbruchsrinne wurde auch Leide genannt.

Gerade einmal 12 Jahre später kam es erneut zu einer verheerenden Sturmflut, die Erste Dionysiusflut, die erneut weite Teil der Westermarsch überschwemmte. Das südlich von Westermarsch gelegene, äußerst wohlhabende Dorf Westeel wurde sogar gänzlich zerstört und infolge dessen aufgegeben. Die Leide verschwand, als die Leybucht ihre größte Ausdehnung erhielt. Durch zahlreiche Eindeichungen in den Folgejahrhunderten entstand das Norder Tief aus der Leybucht.

Bei der Zweiten Dionysiusflut in 1377 drang die Nordsee abermals tief in das Landesinnere vor. Überliefert ist, dass die Fluten bis an das Dominikanerkloster nahe des Norder Stadtzentrums reichten. Durch diese verheerende Sturmflut bekam die Stadt Norden erstmals direkten Zugang zur Nordsee. In der Folge errichteten die Bewohner der Westermarsch einen Deich entlang des Langhauser Tiefs, der von Utlandshörn bis nach Norden reichte: Den Alten Westermarscher Deich.

Doch nicht nur die Sturmfluten hatten viele Menschenleben gekostet, auch grassierte eine schwere Pestepidemie von 1350 bis 1360 in der Region. Um 1400 suchte eine weitere, namentlich nicht bekannte schwere Seuche das Land heim. Dazu kam, dass der Beginn der Kleinen Eiszeit im 14. Jahrhundert zu deutlich schlechten Erträgen führten. Die Menschen waren nicht nur körperlich, sondern auch finanziell geschwächt. Diese gesamtgesellschaftlichen Missstände führten nicht zuletzt zum Aufkommen des Ostfriesischen Häuptlingswesens.

Neuzeit

Im Laufe des 16. Jahrhunderts begann die Westermarsch langsam aber stetig, wieder zu einer wohlhabenden Region zu werden. Insbesondere Anna von Oldenburg, die Witwe von Graf Enno II., hatte wesentlichen Anteil an der Landgewinnung in der Westermarsch sowie bei der Sicherung der Ländereien durch den Bau von Deichen. Unter ihrer Herrschaft wurden weit über 1000 Hektar Land der Nordsee entrissen. Gräfin Anna polderte 1551 das Land nach Süden hin ein, es entstand der sogenannte Alte Süderdeich. Die Deichlinie verlief größtenteils entlang des heutigen Altendeichswegs. Das neu- bzw. wiedergewonnene Land wird auch Altes Westermarscher Neuland genannt.

Ihr Sohn Graf Edzard II. setzte um 1583 einen weiteren Deich vor den Gräfin Annas. Hier liegt das Westermarscher Neuland, geschützt vom Neuen Süderdeich. Er begann in Norden beim Alten Zollhaus und endet an der Leybucht beim Buscherpolder. Unter Christine Charlotte von Württemberg, Regentin von Ostfriesland bis 1699, kamen 1678 weitere 281 Hektar fruchtbaren Landes hinzu. Ihr zu Ehren wurden die Gebiete Süder-Charlottenpolder und Wester-Charlottenpolder genannt.

Blitzeinschlag in einem Warfthaus (1. Hälfte des 19. Jahrhunderts) nach einem Gemälde des Hinrich Adolf von Lengen.

Zur Zeit der Bedeichung war die alte bäuerliche Sozialordnung noch in Kraft, sodass die Landnahme in Rotten erfolgte. So kolonisierten die aus dem Raume Norden angesetzten Siedler in der Ostermarsch in acht Rotten, in der Lintelermarsch in drei Rotten und in der Westermarsch in neun Rotten.[1]

Mit Blick zur Ziegeleistraße (unbekanntes Datum).

Während des Dreißigjährigen Kriegs (1618 bis 1648) wurde auch die Westermarsch von einem Söldnerheer des berüchtigten Heerführers Ernst von Mansfeld als Rückzugsort genutzt. Seine Truppen drangsalierten die Bevölkerung von 1622 bis 1624 und schikanierten sie fortwährend mit kaum zu erfüllenden Forderungen. Die Westermarscher Bewohner, die selbst oftmals kaum genug zum Leben hatten, mussten für Unterbringung und Verpflegung der Soldaten sorgen, ohne dafür eine Gegenleistung erwarten zu können.

Ab dem 16. bis 17. Jahrhundert begannen tiefgreifende sozialstrukturelle Veränderungen. Die Zahl der kleinen und mittleren Bauernhöfe ging zurück und einige wenige Großbauern dominierten fortan die Landwirtschaft. Während es um 1600 noch 37 Höfe in Westermarsch I gab, waren es 1719 nur noch 30. Die durchschnittliche Größe der Ländereien eines Hofs stieg von etwa 15 auf gut 30 bis 35 Diemat. Eines der größten Höfe der Westermarsch ist das noch heute erhaltene Groß Langhaus, der gut 150 Diemat Land besaß (etwa 855.000 Quadratmeter). Als Ursachen sind neben Seuchen vor allem auch Missernten und die durch Sturmflutschäden entstandenen Belastungen zu nennen. Auch dürften Lohn-Preis-Differenzen zwischen den Erzeugnissen der Landwirtschaft und der städtischen Gewerbe diesen Vorgang unterstützt haben..[1]

Weitere Veränderungen ergaben sich, als Ostfriesland 1744 an das Königreich Preußen fiel sowie in der französischen Besatzungszeit, als die Franzosen ein Zollhaus nahe des Norder Tiefs zur Verhinderung von Schmuggel infolge der über England verhängten Kontinentalsperre erbauten.

Durch gute Erträge im fruchtbaren Marschland und der dort zu vorzüglichen Fleischlieferanten heranwachsenden Rinder kamen die Großbauern zu ansehnlichem Wohlstand, während der Großteil der Westermarscher in ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen gerieten und in Armut leben mussten. Die Westerstraße in Norden wurde zur Einkaufsstraße der betuchten Marschbauern. Ihren Wohlstand stellten sie gerne durch prunkvolle Kutschen und eigene Logen in der Ludgerikirche zur Schau. Insbesondere in der Zeit um 1900 erbauten sie zudem Stadtvillen (vor allem als Altersruhesitze) an den Hauptstraßen der Stadt, insbesondere der Bahnhofstraße, der Norddeicher Straße und der Linteler Straße.

Um 1771 grassierte in der Westermarsch eine große Viehseuche, die für die rund 600 Einwohner des Dorfes zu schwerer wirtschaftlicher Not führte. 1774 wurde die Ziegelei am Altendeichsweg eröffnet. Sie bestand bis etwa 1912 und wurde nachfolgend an der Ziegeleistraße neu errichtet. 1777 wurde eine Zuckerraffinerie im danach benannten Zuckerpolder errichtet. Bei der Februarflut 1825 brach der Deich erneut und es kam zu großflächigen Verwüstungen.

Von 1821 bis 1823 kartografierte das Königreich Hannover einen Teil seines Landes. Wenngleich Ostfriesland nicht dazu zählte, taucht in dieser Zeit erstmals die amtliche Trennung von Westermarsch I und Westermarsch II wie auch Süderneuland I und Süderneuland II auf. Offenkundig stand die Trennung dieser bis dahin jeweils zusammengehörenden Gemeinden im Zusammenhang mit Bestrebungen zur Vereinheitlichung von Fläche und Größe der einzelnen Gliedgemeinden im Land. Die nun entstandenen Gemeinden hatten jeweils eine annähernd gleiche Größe und Bevölkerungszahl.

1867 bzw. 1871 fiel ganz Ostfriesland von Hannover (erneut) an das Königreich Preußen. Die preußischen Beamten begannen damit, nun auch Ostfriesland zu kartografieren. 1873 bis 1875 wurde die Westermarscher Straße gebaut, bis dahin erfolgte ein Warentransport vor allem über die zahlreichen Flüsse und Kanäle.

Die Westermarscher Straße vor ihrer Verbreiterung (1977).

In den Wirren der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg formierte sich eine Bürgerwehr, der 73 Mann angehörten. Die Wehr hatte keine Waffen, die sie jedoch angefordert hatten. Zu einer Bewaffnung kam es durch die Gründung der Weimarer Republik mit der einhergehenden Verbesserung der Sicherheitslage jedoch nicht mehr. Während des Zweiten Weltkriegs befand sich in einer Holzbaracke bei Landwirt J. Ahrends in Wester-Charlottenpolder ein Kriegsgefangenenlager (AK Nr. 1 164E), in dem 35 bis 40 (vorher auch 60) Personen untergebracht waren. Im Oktober 1940 gab es 40 Insassen von ausnahmslos französischer Herkunft. Im Juli 1941 registrierte man dann 39 Serben.

Durch Aufnahme ausgebombter Emder sowie Vertriebener aus den ehemals deutschen Ostgebieten stieg die Einwohnerzahl nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich und erreichte 1946 bereits 730 Einwohner, von denen 190 Flüchtlinge oder Vertriebene waren. Bis 1950 stieg die Einwohnerzahl nochmals um 22 auf insgesamt 752 Einwohner. Die Zahl der Flüchtlinge bzw. Vertriebenen lag bei 200.

In den Folgejahren kam es wanderte ein großer Teil der neuen Bewohner wieder ab, so verlor der Ort praktisch die gleiche Zahl, wie er erst kürzlich hinzugewonnen hatte. Ursächlich waren vor allem ein Mangel an Arbeitsplätzen oder zumindest solchen abseits der Landwirtschaft, welche seit den 1950er Jahren einen umfassenden Strukturwandel, vor allem bedingt durch eine immer stärker werdende Motorisierung und der damit einhergehenden Rationalisierung von Arbeitskräften, erlebte. Dennoch bleibt die Landwirtschaft bis heute der bedeutendste Erwerbszweig von Westermarsch I, wenngleich immer mehr Höfe auch vom prosperierenden Tourismus profitieren, indem sie Ferien auf dem Bauernhof anbieten. Dennoch ist der Tourismus im Vergleich zu Westermarsch II und insbesondere natürlich Norddeich eher unterentwickelt.

Verwaltung

Friesland - und damit auch Ostfriesland - unterstand, anders als sonst zur Zeit des Lehnswesens üblich, im Mittelalter keiner zentralen Herrschaft. Dieses Vorrecht, die Friesische Freiheit, bekamen die Friesen der Legende nach von Karl dem Großen persönlich verliehen. Die Friesen unterstanden damit nur dem Kaiser und hatten ansonsten keine Herren über ihnen zu dulden. Stattdessen organisierten sie sich selbst in - mehr oder weniger - demokratischen Genossenschaften, in denen prinzipiell jeder gleichberechtigt war. Diese grundsätzliche Gleichberechtigung war jedoch oftmals an Eigentum gebunden, das viele faktisch nicht hatten. So wurden die öffentlichen Ämter der Richter (Redjeven), die neben der Aufgabe der Rechtsprechung auch als Vorsteher tätig waren und durch jährliche Wahlen besetzt wurden, vor allem von den reichen Bauern besetzt.

Dieses mehr oder weniger feste Konstrukt konnte bis in das 14. Jahrhundert standhalten, als sich schließlich aus den wenigen reichen und einflussreichen Familien - entgegen den Prinzipien der Friesischen Freiheit - ein Adel bildete. Das 14. Jahrhundert war durch viele schwere Sturmfluten, wie die Zweite Marcellusflut oder die Erste Dionysiusflut sowie eine verheerende Pestepidemie von 1350 bis 1360 geprägt. Viele Menschen kamen ums Leben und für die Überlebenden gab es größere Sorgen als die politische oder gesellschaftliche Teilhabe. Der Adel, der die Krisen besser als der große Teil der armen Bevölkerung überstand, nutzte diese Umstände, um seinen Einfluss zu vergrößern. Viele von ihnen verstanden es, die Lage geschickt zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie sahen ihre Autorität nicht mehr vom Willen der Gemeinde abhängig, sondern ihrem eigenen. Nach und nach formierten sich mehrere Häuptlingsgeschlechter. In der Westermarsch gelangten zunächst die Idzinga an die Macht, deren Hauptsitz in Itzendorf in der östlichen Westermarsch und später die Idzingaburg in Ostlintel war, aber auch die Manninga hatten nach dem Untergang ihrer Burg in Westeel noch das Groß Langhaus in ihrem Besitz. Die Steinhäuser der Häuptlinge, mit denen sie sich ohnehin von den oftmals erbärmlichen Behausungen der meisten Mitmenschen abhoben, vergrößerten sie weiter und formten daraus den ostfriesischen Typus an Burgen. Auch begannen sie, Söldnerheere aufzustellen, um ihren Machtanspruch im Zweifel mit Gewalt durchsetzen zu können.

Vor allem durch Kriege mit der mächtigen Hanse und dem Wiedererstarken der Großbauern verlor das Häuptlingswesen nach und seine Bedeutung. 1464 erhob Kaiser Friedrich III. den Häuptling Ulrich Cirksena in den Reichsgrafenstand und belehnte ihn mit Ostfriesland. Damit war die Friesische Freiheit endgültig abgeschafft und auch in Ostfriesland galten Feudalismus und Lehnswesen.

Ab 1464 bis 1744 stand Westermarsch I somit kein gewählter Vertreter bzw. Häuptling, sondern ein vom Grafen bzw. Fürsten bestellter Drost vor, der später auch den Titel Amtsverwalter trug. Dieser hatte neben der Oberaufsicht auch die gesamte Polizeigewalt inne. Ihm war ein Vogt beigestellt. Der Vogt war neben Westermarsch I auch für Westermarsch II sowie Süderneuland I und Süderneuland II zuständig. Ein sogenannter Auskündiger, der vom Drosten eingesetzt wurde, unterstützte den Vogten in seiner Arbeit und war diesem hierarchisch untergeordnet.

Unter dem Auskündigen wiederum standen mehrere Rottmeister, die jeweils ein Rott verwalteten. Westermarsch I hatte vier Rotten und damit vier Rottmeister. Sie hatten vor allem die Aufgabe, die Steuern in ihren Rotten einzutreiben und den Rottbewohnern ihre Pflichten anzusagen. Die Amtszeit der Rottmeister dauerte zwei Jahre, das Amt wurde danach im Rott an geeignete, männliche Bewohner neu vergeben. Westermarsch I entspricht der alten Rotteinteilung Rott 1 bis Rott 4, während Westermarsch II Rott 5 bis Rott 9 umfasst.

Im militärischen Bereich sind für das Jahr 1735 ein Leutnant und ein Fähnrich an der Spitze einer Landwehr (Miliz) belegt, die demokratisch gewählt wurden, jedoch vom Regenten bestätigt werden mussten.

Ab dem 19. Jahrhundert stand der Gemeindevorsteher (Bürgermeister) an oberster Spitze von Westermarsch I. Es handelte sich jedoch um ein Ehrenamt mit vor allen repräsentativen Aufgaben. An der Spitze der eigentlichen Verwaltung stand ein Gemeindedirektor, der hauptberuflich tätig und Kommunalbeamter war. Von 1954 bis zum 30. November 1965 war beispielsweise Bernhard Ennenga der Bürgermeister von Westermarsch I. Unter Gemeindedirektor Hippen fand von 1. Dezember 1965 bis 30 Juni 1972 die kleine Gebietsreform statt, Westermarsch I und II verloren ihre Eigenständigkeit und gingen in der Samtgemeinde Leybuchtpolder auf, der auch Neuwesteel und Leybuchtpolder angehörten. Infolge der niedersächsischen Gemeindereform fiel die Samtgemeinde Leybuchtpolder am 1. Juli 1972 vollständig an Norden. Ein ehrenamtlicher Ortsvorsteher vertritt seither den Ort und seine Interessen gegenüber der städtischen Verwaltung sowie der Politik.

Bildung

Mindestens seit 1622 ist in Westermarsch I eine Schule belegt, die im Laufe der Jahre neugebaut und erweitert wurde. Das Schulgebäude von 1868, das später auch als ABC-Bar bekannt wurde, existiert noch heute und befindet sich in Privatbesitz. Dort fand jedoch schon seit 1961 kein Unterricht mehr statt. Im genannten Jahre wurde eine neue Schule in einiger Entfernung gebaut. Heute wird das Gebäude als Kindergarten sowie als Begegnungsstätte genutzt.

Religion

Es ist nicht belegt, dass es in der Westermarsch jemals einen Friedhof gegeben hat. Dies ist jedoch auch wenig wahrscheinlich, da die Friedhöfe bei Sturmfluten schutzlos ausgeliefert wären und die Toten sowohl in ihrer Ruhe gestört wäre, als auch hätten Krankheiten verbreiten können. Die Verstorbenen wurden deshalb in Norden auf dem Alten Friedhof beerdigt, die zuständige Kirche der Norder Umlandgemeinden war die Ludgerikirche.

Die Bevölkerung war und ist überwiegend evangelisch-lutherisch und gehört mittlerweile zur Andreasgemeinde Norden, welche ihren Sitz im Warfenweg hat. Vereinzelt gibt es evangelisch-reformierte Bewohner, die die Bargeburer Kirche besuchen, sowie Mennoniten, die einst Schutzgeld zahlten und die in Norden am Marktplatz auf der Südseite seit 1795 ihre eigenen Kirche besitzen. Die wenigen katholischen Bewohner gehen in die Ludgeruskirche in Norden. In der Begegnungsstätte in der ehemaligen Altendeichsschule finden regelmäßig von der Kirche organisierte Teenachmittage statt.

Gesundheit und Soziales

Westermarsch I war seit jeher dem Armenverband Norden und dem Kirchspiel Norden angegliedert, nachweisbar beispielsweise 1735 und 1870. Die Betreuung der Hilfsbedürftigen wurde früher von den Kirchengemeinden vorgenommen. Aus den umliegenden Gemeinden Westermarsch I und II, Lintelermarsch und Ostermarsch, soweit sie nach Norden eingepfarrt waren, wurde ein Kirchenverwalter bestellt. Die dafür benötigten Gelder stammten aus eigenen Ländereien (Verpachtung und Erträge) und Kapitalvermögen. Später wurde das Armenwesen auf die Kommunen übertragen.

Wirtschaft und Verkehr

Haupterwerbszweig von Westermarsch I ist seit jeher die Landwirtschaft. Neben dem Ackerbau spielt auch die Viehzucht und -haltung sowie der Handel mit Kühen eine bedeutende Rolle. Kühe aus der Westermarsch haben einen international sehr guten Ruf und ihr Fleisch ist aufgrund des saftigen Marschlandes von besonderer Qualität. Seit den 1950er Jahren ist eine stetig wachsende Rolle des Tourismus zu beobachten. Westermarsch I steht dabei jedoch Norddeich und Westermarsch II deutlich nach. Ferien auf dem Bauernhof bieten mittlerweile allerdings viele Höfe neben ihrer landwirtschaftlichen Betätigung an.

Das Einwohnerverzeichnis von 1880 bis 1881 wies einen Krämer (der gleichzeitig auch Schankwirt war), einen Partikulier (selbstständiger Schiffer in der Binnenschifffahrt), einen Zimmermann und einen Zöllner, sowie jeweils zwei Gastwirte, Grenzaufseher und Schmiede aus.

Erst zwischen 1873 und 1875 wurde von der Stadt Norden bis zum Kleinen Krug in Utlandshörn eine Landstraße gelegt, von der aus später noch zwei kleine Nebenstraßen in nördlicher und südlicher Richtung angelegt wurden. So war es vorher zu Regenzeiten unmöglich, die Wege zu benutzen, da es ansonsten keine befestigte Straßen gab. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, vor allem Korn, mussten oftmals auf Schiffen die Kanäle entlang nach Norden transportiert werden. In umgekehrter Richtung galt dies auch für Waren, die nach Westermarsch I importiert wurden.

Erwähnenswerte Gebäude

Erhaltene Gebäude

Abgebrochene Gebäude

Sehenswürdigkeiten

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Rack, Eberhard (1967): Besiedlung und Siedlung des Altkreises Norden, Münster, S. 60

Quellenverzeichnis

Siehe auch