Norddeich
Norddeich | |
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Höhe | 1,4 m ü. NN |
Fläche | 10,523 km² |
Einwohner | 1.256 (31.12.2022) |
Eingemeindung | 1. Juli 1972 |
Bevölkerungsdichte | 120 Einwohner/km² |
Norddeich ist ein Stadtteil von Norden und hat 1.256 Einwohner (Stand: 31. Dezember 2022), die sich auf einer Fläche von rund 10,52 km² verteilen. Bedingt durch seinen prosperierenden Tourismus gelangte der Ort zu bundesweit Bekanntheit, bisweilen sogar bekannter als die Stadt Norden selbst, zu der der Ort seit 1972 gehört.
Namensherkunft
Norddeich war ursprünglich nur die Bezeichnung für eine kleine Fischersiedlung am nördlichen Deich - woraus sich der Name erklärt - die größtenteils zur Gemeinde Lintelermarsch, teilweise zur Gemeinde Westermarsch II gehörte.[1] Im Laufe der Zeit, als der Ort mehr und mehr an Bedeutung gewann, wurde aus der Deichbezeichnung schließlich ein Ortsname. Erstmalige Erwähnung findet der Ort 1813 in einem Werbeprospekt, in dem ein Geschäftsmann für einen Urlaub am Norddeich von Norden wirbt. 1824 wird es als Fischerhausen am sogenannten Norddeich bezeichnet. Später kürzte man den Namen ab und nannte ihn fortan nur noch Norddeich. Wann genau, ist nicht überliefert.
Seit den 1950er Jahren wird aufgrund der gemeinsamen, touristischen Vermarktung von Norden und Norddeich (siehe Abschnitt: Wirtschaft und Infrastruktur) oftmals auch von Norden-Norddeich gesprochen.
Wappen
Das Wappen zeigt im grünen Schildhaupt einen silbernen Fisch mit goldenen Flossen und darunter einen roten Blitz mit silbernem Rand. Es wurde von der Gemeinde Lintelermarsch übernommen, welche im Zuge der niedersächsischen Gebietsreform zum 1. Juli 1972 ein Stadtteil von Norden wurde und das Wappen am 26. Juli 1960 verliehen bekam. Es handelt sich um ein sogennantes redendes Wappen, da es die Ortsgeschichte bildlich wiedergibt.
Der Fisch im oberen Bereich spiegelt die in Norddeich jahrhundertelang bedeutende Fischerei wieder, der Blitz erinnert an die Sendestelle von Norddeich Radio, welche sich in Osterloog befand. Heute befindet sich dort das Waloseum. Die Farbgebung Rot-Silber wurde vom Anstrich der Sendetürme übernommen. Das Grün im Wappen steht für die Landwirtschaft, die ebenfalls lange Zeit eine große Bedeutung hatte und in den östlichen Gebieten Norddeichs bis heute hat.
Bevölkerungsentwicklung
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Geografie
Der Ort befindet sich in einem Kalkmarschgebiet in einer Höhe von bis zu 1,4 m über Meeresniveau (NN). Eine von Südwest nach Nordost zum Teil am Süderschloot verlaufende Linie trennt Norddeich von der südlich gelegenen ehemaligen, heute zu Norden gehörenden Sandbauerschaft. Diese Linie ist heute die Grenze zu Neustadt. In nördlicher Richtung wird der Ort vom Wattenmeer begrenzt, im Osten von der Ostermarsch und im Westen von Westermarsch II, mit dem Norddeich insbesondere im Bereich der Grenze, die in etwa mittig des Dörper Wegs verläuft, baulich verschmolzen ist.
In Teilen der südlichen Ausläufer des Ortes weist der Boden eine sandige und weißlich bis rötlichgraue Farbe auf. Der Großteil des Bodens in Norddeich und Umgebung besteht jedoch aus sehr fruchtbarem Marschboden, der eher kräftig hell und gelblich ist.
Auffallend sind um Norddeich die vielen mit Schilf bestandenen Wasserstellen. Sie sind in den letzten Jahrhunderten durch immer wieder notwendig werdende Deichbauten entstanden. Außerdem sind etliche meist runde oder längliche Wasserstellen bzw. -löcher zu finden, die die verschiedenen Sturmfluten verursacht haben und als Kolk bezeichnet werden.
Geschichte
Mittelalter
Bis ins Mittelalter war die Zahl der hier lebenden Menschen äußerst gering. Der Ort bestand - wie alle Marschgebiete nördlich der Stadt Norden - aus vereinzelten Streusiedlungen mit nur wenigen Gebäuden. Erbaut wurden sie zu Beginn auf Warften, künstlichen Erhöhungen, die Mensch, Tier und Behausung Schutz vor Sturmfluten bieten sollte, als es noch keine oder nur schwache Deiche gab.
Neuzeit
Mit Beginn der Neuzeit begannen größere Veränderungen, besonders in der Sozialstruktur. In allen Marschgebieten ging die Zahl der kleineren Höfe zurück, die der größeren stieg. Im Jahr 1600 werden in der gesamten Lintelermarsch noch 48 Hofstellen gezählt, im Jahre 1719 waren nur noch 27 Höfe vorhanden. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) hatten auch die Bewohner der Lintelermarsch nicht nur unter den Folgen von Sturmfluten sondern auch unter den Einquartierungen der Mansfelder sowie der Kurfürstlichen Brandenburgischen Soldaten zu leiden, die ihr Land und ihre Häuser verwüsteten und kaum erfüllbare Forderungen stellten. Damit erlitten die Bewohner das gleiche Schicksal wie die von Westermarsch I und Westermarsch II.
Der Großteil des Gebiets des heutigen Ortes lag seinerzeit weiter im Landesinneren als heute. Nordwestlich von Norddeich gab es am damaligen Deichfuß in der Ortschaft Itzendorf einen ersten Schiffsanleger, der vor allem von Fischerbooten genutzt wurde. Die Weihnachtsflut von 1717 durchbrach die Deichlinie und überflutete Itzendorf. Die Ortschaft musste 1721 aufgegeben und ausgedeicht werden, nachdem mehrere Versuche, es wiederaufzubauen, aufgrund der zu massiven Schäden, scheiterten. Die Deichlinie wurde weiter südlich an die heutige Stelle verlegt, etwa mittig des heutigen Ortskerns. Hier können die Straßen Hattermannsweg, Am Warft und Pelikanstraße als ungefähre Anhaltspunkte für diese Deichlinie angenommen werden. An den alten Ort erinnert heute noch eine Untiefe in der Nordsee sowie eine Straße in Westermarsch II, die beide Itzendorfplate genannt werden. Zur Zeit der Bedeichung war die alte bäuerliche Sozialordnung noch in Kraft, sodass die Landnahme in Rotten erfolgte. So kolonisierten die aus dem Raume Norden angesetzten Siedler in der Ostermarsch in acht Rotten, in der Lintelermarsch in drei Rotten und in der Westermarsch in neun Rotten.[2]
In unmittelbarer Nähe von der ehemaligen Ortschaft Itzendorf entstand spätestens ab 1780 ein rund 20 Metern langer Nachfolgebau für den Hafen, der bis 1840 in Betrieb war. Östlich davon entwickelte sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ein weiterer Hafen, den man zunächst als Fischerhausen am sogenannten Norddeich bezeichnete. Nahe dieses Hafens befanden sich zwei Bauernhöfe und ein Wirtshaus (den sogenannten Seebergskrug), welche mit weiteren kleinen Gebäuden zu einer Kleinstsiedlung verwuchsen und eine Art ersten Ortskern bildeten, von dem aus sich der Ort weiter entwickelte.
Im 18. Jahrhundert gewann der Tourismus allmählich an immer größer werdender Bedeutung, jedoch blieben die bis dahin vorherrschenden Wirtschaftszweige - die Fischerei und die Landwirtschaft - bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterhin von zentraler Bedeutung. Mit dem Tode des letzten Grafen von Ostfriesland, Carl Edzard Cirksena, fiel Ostfriesland - und damit auch Norddeich - im Jahre 1744 an das Königreich Preußen. Nach dem Sieg Napoleons über Preußen im Jahr 1806 wurde Ostfriesland ab 1807 Teil des Königreichs Holland, einem Vasallenstaat Frankreichs. Dies blieb bis 1813 so, als Ostfriesland nach der Vertreibung Napoleons wieder an Preußen fiel. In diesem Jahr wurde Norddeich erstmals als Küstenbadeort bezeichnet.
Ab 1815 musste Preußen Ostfriesland an das Königreich Hannover abtreten. In dieser Zeit begannen Planungen, vor dem schon vorhandenen Haus eine eine befestigte Buhne (rechtwinklig zum Ufer vorgebauter Damm) anzulegen. Im Jahr 1824 wird dieses Vorhaben genehmigt. Aus schweren Feldsteinen, Ziegelsteinschutt, Eisen und Tannenholz wurde dann ein rund 30 Meter langes Bauwerk, das an der Krone eine Breite von vier Metern aufwies, errichtet. Die Unterhaltung erwies sich als sehr kostspielig, da der Anleger durch Sturmfluten und eisige Winter immer wieder stark beschädigt wurde. Zwischen 1869 und 1870 wurde von Privatleuten eine weitere Buhne zum Anlegen von Fähren errichtet. Diese Buhnen, auch Fährschlengen genannt, waren lange Zeit die wichtigsten Anlegestellen. Aus diesen entwickelte sich nach und nach der Norddeicher Hafen.
1866 wird das Königreich Hannover von Preußen annektiert, wodurch Ostfriesland wieder preußisch wird. Die Beamten beginnen schon bald damit, das Land zu kartografieren. Die erstaunlich maßstabsgetreue und detaillierte preußische Grundkarte von Norden und Umgebung (ca. 1895) gilt als wichtiger Anhaltspunkte für viele heimatkundliche Nachforschungen. 1870 sind für Norddeich ein Fähranleger, eine Schule, vier Bauernhöfe (davon einer mit Gaststätte) und 18 Häusern angegeben. 1871 wird die Reederei Frisia als Dampfschiffsrhederei Norden gegründet. Erklärtes Ziel des Unternehmens ist es, einen geordneten Fährverkehr zwischen Norden und den Insel Juist und Norderney herzustellen, die zuvor vor allem aus Bremen und Hamburg angelaufen wurden. Hinzu kam die beschwerliche Anreise. Zwar war die Stadt Norden ab 1883 über den Bahnhof in Süderneuland an das nationale Eisenbahnnetz angeschlossen, von dort aus mussten die Gäste und Güter aber umständlich mit Pferdefuhrwerken, Linienwagen und Kutschen in das vier Kilometer entfernte Norddeich transportiert werden. Auch von den Fischern des Ortes gab es Forderungen nach einem Ausbau des Hafens.
In den Jahren 1889 bis 1891 erfolgt der Bau der Mole Norddeich und im Jahre 1892 der Anschluss an das Bahnnetz, was dem Tourismus einen deutlichen Aufschwung versetzte und auch der Reederei Frisia einen bedeutenden Zuwachs an Fahrgästen verschaffte. Trotz des Bahnanschlusses gestaltete sich die Anreise der Gäster weiterhin aufwendig, da Passagiere und Gepäck mit Pferdekutschen die holprigen Wege nach Norddeich auf sich nehmen mussten. Viele von ihnen verweilten daher vor der Weiterreise nach Norddeich erstmal in einem der zahlreichen Norder Gasthäuser, wie beispielsweise dem Vossenhus.
Der Bau der Mole war insbesondere für die Reederei Frisia ein Glücksfall, da sich die Fährschlengen schnell als ungeeignet zum Anlegen größerer Schiffe erwiesen. Auch die Fischer, die den Ausbau des Hafens lange Zeit forderten, profitierten von der verbesserten Infrastruktur. Den in Norden verweilenden Touristen wurde bereits dabei die ein oder andere Attraktion geboten, so waren etwa Pferderennen über mit Hindernissen bestickte Bahnen ein beliebter Anlaufpunkt.[3] Ab 1905 wurde die Küstenfunkstelle Norddeich Radio, die sich eigentlich zu keinem Zeitpunkt innerhalb der Grenzen Norddeichs befand, errichtet. Im April 1907 wurde die Station feierlich eingeweiht und in den 1930er Jahren schließlich nach Utlandshörn verlegt wurde, nachdem sich der Standort an der Deichstraße als ungeeignet erwies. Gut 90 Jahre lang wurden von dort Funktelegramme verschickt und Kommunikation zu Schiffen auf allen Weltmeeren aufgebaut. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg hatte die Station große Bedeutung für das Militär, besonders für die Kaiserliche Kriegsmarine und wurde entsprechend geschützt.
1905 oder 1906 gründeten Bürger aus Norden einen Kurverein, der die touristische Zusammenarbeit zwischen den beiden Orten fördern sollte, was jedoch zunächst scheiterte. Die Badeverwaltung Norddeich und der Norder Kurverein gaben getrennt voneinander umfangreiche Werbebroschüren heraus und hielten nebeneinander, statt miteinander den Badebetrieb mitsamt der dazugehörigen Aufgaben (Aufstellen von Umkleidewagen, Einsatz von Bademeistern, ...) aufrecht.[4][5] Das Baden erfolgte seinerzeit noch streng nach Geschlechtern getrennt.[6] Nach 1918, vor allem in den einsetzenden Goldenen Zwanzigern, erlebte der Tourismus einen bedeutenden Aufschwung. Norddeich entwickelte sich nun sichtbar von einem Fischerdorf zum Touristen- und Badeort. Im Jahr 1925 gründete sich erneut ein Kurverein. Im Sommer 1926 waren alle Betten belegt, im Jahr 1927 wurden 25.000 Gäste gezählt. Auch in überregionalen Zeitungen wurde für die Vorzüge eines Urlaubs in Norddeich geworben, das insbesondere durch seine Ruhe bei zeitgleich verkehrsgünstiger Anbindung bestach.[7]
Der Zweite Weltkrieg bremste die Entwicklung, weil die gesamte Küste fortan als militärisches Operationsfeld eingestuft war. Nach dem Krieg werden Bahnhof und die Gebäude der Reederei Frisia bedeutend erweitert. Im Sommer 1951 wurde die Seebadeanstalt wieder eröffnet. Initiator war der zuvor gegründete Bade- und Verkehrsverein Norden-Norddeich. 1958 wurde das Meerwasserbadebecken fertiggestellt und eröffnet.
Für 1960 wurden bereits 50.000 Übernachtungen verzeichnet. Im Jahr 1962 übernahm ein kommunaler Zweckverband die Aufgaben des Bade- und Verkehrsverein für Norden und Norddeich. Durch die Sturmflut vom 16. auf den 17. Februar 1962 wurde auch Norddeich stark betroffen. Die 1965 aus fünf kleineren Verbänden gegründete Deichacht Norden ließ die gesamte Deichlinie zur Nordsee wesentlich erhöhen und verstärken. Diese Maßnahmen dauerten bis 1988 an. Parallel dazu wurde im Jahre 1969 ein 80.000 Quadratmeter großer Sandstrand aufgespült. Im gleichen Jahr nahm die Jugendherberge ihren Betrieb auf. 1975 wurde das Freibad errichtet.[8] Die Übernachtungszahlen stiegen unaufhörlich weiter. Bis 1970 stiegen sie um gut 500 % auf 251.200, weitere zehn Jahre später waren es gar 675.132 Übernachtungen.[9]
Im Rahmen der niedersächsischen Kommunalreform wurde die bis dahin eigenständige Gemeinde Lintelermarsch aufgelöst und unter dem Namen Norddeich zum 1. Juli 1972 ein Stadtteil von Norden. Der Name wurde gewählt, da dieser sich besser touristisch vermarkten ließ und sich im Laufe der Zeit ohnehin als Bezeichnung für die Lintelermarsch durchsetzte. Die Eingemeindung förderte nicht zuletzt die Gründung der Kurbetriebs GmbH. Vor einem inzwischen neugebauten Hauptdeich in Norddeich entstanden in den siebziger Jahren Freizeitanlagen, unter anderem ein Meerwasserbadebecken (1973) und das Haus des Gastes (1975 bis 1976). Hinter dem Deich folgten landeinwärts ein Hallenbad, der Wellenpark sowie die Seehundstation. 1979 erhielt Norddeich das Prädikat Staatlich anerkanntes Nordseebad. 1980 wurde das Kinderspielhaus errichtet.
Im Jahre 1992 erfolgte die Einweihung des Nationalparkzentrums, da das Wattenmeer zum Nationalpark erklärt wurde. In diesem Jahr begann auch der Bau der Dr. Becker Klinik sowie der Umbau und Erweiterung des Haus des Gastes. Die Vollendung erfolgte vier Jahre später. Von 2002 bis 2003 wurde das alte Wellenbad in das Meerwassererlebnisbad Ocean Wave umgebaut. Neben dem Tourismus ist die Fischerei weiterhin eine wichtige Erwerbsquelle, zahlreiche Kutter legen auch heute noch Am Fischereihafen an. Am 24. Juni 2010 verlieh der damalige niedersächsische Wirtschaftsminister Jörg Bode dem Stadtteil den Titel Nordseeheilbad, die höchste touristische Anerkennungsstufe unseres Bundeslandes.
Viele Personen, Betriebe und Verbände haben Norddeich im Laufe der Zeit zu dem gemacht, was es heute ist. Auf der einen Seite profitiert die Stadt von dem ungebrochen prosperierenden Tourismus wie von keinem anderen Wirtschaftszweig, auf der anderen Seite bringt dieser enorme Anstrengungen für die Infrastruktur mit sich. Nicht zuletzt hat eine rege Bautätigkeit dazu geführt, dass Norddeich besonders im Winter einer Geisterstadt gleicht, deren Häuser sich durch geschlossene Rollos aufweist. Man spricht hier im Volksmund auch spöttisch von Rollladensiedlungen. Die enorme Preissteigerung für Häuser und Gründstücke, die in der Amtszeit von Bürgermeister Schmelzle nie da gewesene und mit Ballungsräumen vergleichbare Ausmaße erreicht hat, führte zudem dazu, dass heute kaum noch Einheimische in Norddeich wohnen. Die wenigen Neubauten, für die oftmals ortsbildprägende Einfamilienhäuser ohne Not abgebrochen werden, werden in der Regel für touristische Zwecke genutzt oder zu utopischen Preisen an auswärtige Senioren der Ballungsgebiete des Ruhrgebiets verkauft. Dieser Trend spiegelt sich insbesondere in der Bevölkerungsentwicklung wieder: Innerhalb von gut zehn Jahren verlor der Ort annähernd 500 Einwohner.
Verwaltung
- siehe auch: Liste der Gemeindevorsteher von Lintelermarsch
Der oberste Beamte in der Grafen- bzw. Fürstenzeit (1464-1744) im Amt Norden war der Drost, später Amtsverwalter genannt, der die Oberaufsicht und Polizeigewalt im ganzen Amt Norden hatte. Der Vogt, ein Exekutivbeamte des Drosten, wurde vom Fürsten persönlich ernannt. Sein Arbeitsbereich umfasste die gesamte Lintelermarsch sowie die frühere Norder Umlandgemeinde Sandbauerschaft. Dem Vogt wurde ein sogenannter Auskündiger beigesetzt, der vom Amtsverwalter eingesetzt wurde. Zusätzlich gab es die Rottmeister, benannt nach den Rotten (vergleichbar mit heutigen Stadtvierteln) die die Aufgabe hatten, den Leuten, die im Rott wohnten, Steuerangelegenheiten und andere die Allgemeinheit betreffenden Pflichten oder Bestellungen kundzutun. Der Rottmeister amtierte zwei Jahre, das Amt wurde im Rott vergeben.
Im 19. Jahrhundert stand ein Bürgermeister an oberster Spitze in der Gemeinde Lintelermarsch und nach der Gemeindereform 1972 ein Ortsvorsteher, der Norddeich vor dem Rat und der Verwaltung der Stadt Norden vertritt. Der bekannteste Lintelermarscher Bürgermeister war Heinrich Balssen, dem zu Ehren man auch die Bürgermeister-Balssen-Straße benannte. Sitz der Gemeindeverwaltung war zuletzt das Alte Rathaus am Hattermannsweg.
Bildung
- Hauptartikel: Osterlooger Schule | Schule Norddeich
Eine Schule ist für spätestens 1767 nachgewiesen. Die erste bekannte Schule befand sich vermutlich etwa in Höhe von Wiebens Trift und wurde 1852 durch einen Nachfolgebau ersetzt. Eine weitere Schule soll es ab 1843 am Stuvertsweg gegeben haben. 1888 wurde das bis heute erhaltene Schulgebäude an der Norddeicher Straße erbaut. 1908 wurde ein - ebenfalls noch heute existierendes - Schulgebäude an der Ostermarscher Straße, kurz vor der Grenze zu Ostermarsch errichtet. Die einzige noch betriebene Schule ist die 1992 fertiggestellte Schule in der Nordmeerstraße.
Religion
Bis ins 20. Jahrhundert besuchten die Einwohner die Kirchen in Norden, vor allem die Ludgerikirche, da die meisten evangelisch-lutherischer Glaubensrichtung waren. Seit 1975 verfügt Norddeich mit der Arche über eine eigene Kirche. 1973 kam bereits die Friedenskirche im Sozialwerk Nazareth dazu. Die anderen Konfessionsangehörigen besuchen unverändert die entsprechenden Kirchen in Norden.
Gesundheit und Soziales
Die Betreuung der Hilfsbedürftigen wurde früher von den Kirchengemeinden geleistet und nicht vom Staat. Die dafür benötigten Gelder stammten aus eigenen Ländereien und Kapitalvermögen und wurden auch Armenland genannt. In Norddeich wurde die Ländereien vor allem durch den Hof Armenplatz, welcher noch heute erhalten ist, bewirtschaftet. Norddeich war dem Armenverband Norden und der Norder Kirchengemeinde angegliedert. Die Armen wurden damit also ebenfalls vom Norder Armenhaus versorgt.
1973 errichtet die Pfingstgemeinde in Norddeich ein Erholungszentrum, das 1977 als Freizeit- und Heimstätte Nazareth bekannt wird und im Laufe der Jahre tausenden Flüchtlingen und Asylsuchenden Unterstützung und Unterkunft geboten hat.
Wirtschaft und Infrastruktur
Fischerei und Landwirtschaft
Lange Zeit spielten vor allem die Fischerei und die Landwirtschaft eine Rolle und tun dies zum Teil bis heute. Bekannt ist, dass von Norddeich aus um 1888 sieben Schaluppen auf Schellfischfang gingen und auch Argenfischerei betrieben wurde.[10] Hierzu wurden auf einer Sandbank bis zu 800 Meter lange Buschzäune errichtet, die zu einem spitzen Winkel zusammenliefen und an dessen Ende Fangnetze (sogenannte Argen) aufgestellt waren. Bei Ebbstrom verfingen sich dadurch Schollen, Butte und andere Fische in den Netzen.[11] Um 1900 war diese Praxis wegen verbesserter Fangmethoden kaum noch gebräuchlich.[12] So wurde Norddeich im Jahre 1920 bereits mit 14 Schiffen befischt und auch der Granatfang begann seinen Siegeszug. Unter den genannten Schiffen befanden sich zwei 160 PS starke Dampfer, drei Kutter und vier hölzerne Schaluppen mit einem nur 12 bis 20 starken Hilfsmotor.[13]
In der frühen Nachkriegszeit wurden die Norddeicher Fischer nach Norderney beordert, um dort umfangreichen Fischfang zu betreiben. Die Nahrungsmittelknappheit war groß, auch die Frisia V der Reederei Frisia wurde für den Fischfang eingesetzt.[14][15] Die gefangenen Fische wurden von der Britischen Militärregierung in den Regionen entlang des westlichen Niedersachsens bis nach Osnabrück verteilt. Da die Fischgründe sich in der Kriegszeit erheblich erholen konnte, da viele Kutter als Hilfskreuzer von der Wehrmacht beschlagnahmt wurden, war die Ausbeute konnte und man konnte Fische sogar eine Zeit mit den Händen in den Prielen fangen.[15]
Nach der Währungsreform von 1948 begannen die Norddeicher Fischer mit der industriellen Verarbeitung von Krabben (Granat).[15] Lange Zeit war auch das das Krabben- bzw. Granatpulen von Bedeutung, das noch bis in die 1990er Jahre einer dreistelligen Personenzahl ein Einkommen bescherte.[16] Heute wird der vor Norddeich gefangene Granat jedoch irrsinnigerweise, aber kostengünstiger in Marokko, Tunesien und Polen gepult und dann wieder zurück nach Deutschland verschifft.[17]
Von etwa 1935 bis in die 1970er Jahre wurde auch Sardellenfischerei betrieben, dann jedoch wegen mangelnder Ausbeute eingestellt.[18] Muschelfang wurde und wird traditionell südlich von Borkum und nahe Memmert betrieben, wo die Bedingungen für das Wachstum der Muscheln günstig sind.[15]
Tourismus
Haupterwerbszeig ist spätestens seit den 1950er Jahren der Tourismus, der sich immer weiter zum Massentourismus entwickelt. Der Norddeicher Hafen ist nach dem in Rostock und Puttgarden der größte Personenhafen Deutschlands mit jährlich über zwei Millionen Passagieren. Der Ort selbst verzeichnet jährlich bis zu zwei Millionen Übernachtungen. Bei einer Einwohnerzahl von knapp über 1.200 werden die Dimension und das Ausmaß des Fremdenverkehrs besonders deutlich. Ein Großteil aller Häuser und Wohnungen wird entweder vollständig oder zumindest teilweise zu Zwecken des Tourismus vermietet. Dazu kommen eine Vielzahl an Pensionen und Hotels der unterschiedlichsten Kategorien sowie eine herausragende Anzahl an Restaurants und weiteren, dem Tourismus dienende Einrichtungen.
Der wohl älteste schriftliche Beleg für touristische Aktivitäten in Norddeich ist ein am 21. Juli 1813 veröffentlicht Prospekt eines Roolf W. Seeberg, Inhaber des Seebergskrugs am Norddeiche: "Die kleine Seebadeanstalt am Norddeiche ohnweit Norden betrf. mache ich Unterzeichneter […] näher bekannt." Es folgen Informationen und Preisangaben für warme und kalte Bäder in seinem Hause diesseits des Deiches sowie für die Nutzung einer Badekutsche jenseits des Deiches. Seeberg bot zur mehreren Bequemlichkeit der Herren Badegäste auch ein Fahrdienst im verdeckten viersitzigem Wagen, und zwar zweimal täglich - vormittags um 10:00 Uhr und nachmittags um 14:00 Uhr - von Norden aus an. Gegen diesen Prospekt, der auf der Vorderseite in deutscher und - mit Blick auf damals in Ostfriesland und auch in Norden und Umgebung stationierten französischen Besatzungstruppen - auf der Rückseite in französischer Sprache abgefasst war, intervenierte der Präfekt des Départements Ems-Oriental, da für die Veröffentlichung keine Genehmigung eingeholt worden sei. Diese aber wäre schon deshalb notwendig gewesen, weil der Prospekt ein Zulauf von fremden Reisenden auf die äußersten Gränzen des Reiches bewirken könnte. Seeberg wandte sich deshalb - den Dienstweg einhaltend - am 6. August 1813 an den Bürgermeister (Maire) von Lintelermarsch und suchte dort offiziell um eine Genehmigung für seinen Badebetrieb nach. Seinen Antrag begründete er unter anderem auf folgende Weise: "So habe ich mich entschloßen, weill ich am Deiche wohne, vor [= für] unseres Landes Leute zu mehr bequemlichkeit es einzurichten, das Herren und Dames die sich Schienären [= genieren] öffentlich zu baden, sich durch eine Maschine sich können herein farren [= fahren] laßen, und unter ein Fallschirm zu Baden." Außerdem verwies Seeberg auf die wissenschaftliche Abhandlung eines Professor Vogels über den Nutzen der Seebäder und einen anderen französischen Aufsatz, in dem Vogel die These vertrat, dass das Seebad in mehreren Krankheiten fast durch nichts zu ersetzen ist. Ob der Bürgermeister dem Antrag stattgab, ist nicht bekannt. Im gleichen Jahr fiel Ostfriesland jedoch auch wieder an Preußen zurück und die französischen Bedenken wurden damit bedeutungslos.
Erwähnenswerte Gebäude
- siehe auch: Kategorie:Gebäude in Norddeich
Erhaltene Gebäude
- Alte Norddeicher Schule
- Armenplatz
- Dr. Becker Klinik
- Flugplatz
- Grundschule Norddeich
- Haus des Gastes
- Osterlooger Grashaus
- Sender Osterloog (Waloseum)
- Westerlooger Grashaus
Abgebrochene Gebäude
Galerie
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Ansichtskarte aus dem Jahr 1912.
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Postkarte aus der Zeit um 1930.
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Badetourismus in der Zeit um 1930.
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Blick zur See (8. August 1938).
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Ein Sandkasten an der Seebadeanstalt (um 1940).
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Ausbau der Mole (um 1950).
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Aufnahme aus der Zeit um 1955.
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Luftbild aus der Zeit um 1955.
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Badetourismus in der Zeit um 1960.
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Aufnahme aus der Zeit um 1960.
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Anreiseverkehr an der Mole um 1960.
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Badetourismus in der Zeit um 1965.
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Aufnahme aus der Zeit um 1965.
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Aufnahme aus der Zeit um 1965.
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Der Strand um 1970.
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Aufnahme aus der Zeit um 1970.
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Aufnahme aus der Zeit um 1970.
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Aufnahme aus der Zeit um 1980.
Einzelnachweise
- ↑ Sanders, Adolf (1999): Norden - wie es früher war, Gudensberg, S. 51
- ↑ Rack, Eberhard (1967): Besiedlung und Siedlung des Altkreises Norden, Münster, S. 60
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 50
- ↑ Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 11
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 164
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 163
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 163f.
- ↑ Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 83
- ↑ Sanders, Adolf (1988): Unsere Stadt hinterm Deich, Norden, S. 56
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 167
- ↑ Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 302
- ↑ Schreiber, Gretje (2017): Der Norder Hafen. Geschichte, Schifffahrt und Handel, Aurich, S. 258
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 169
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 168
- ↑ 15,0 15,1 15,2 15,3 Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 169
- ↑ Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 303
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 171
- ↑ Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 170
Quellenverzeichnis
- Beschreibung von Norddeich und der Lintelermarsch in der historischen Ortsdatenbank der Ostfriesischen Landschaft
- Norddeich.de Internetauftritt des Stadtteils
- Norden.de: Einwohnerzahl nach Ortsteilen
- Norden.de: Ortsteile der Stadt Norden
- Arends, Friedrich (1824): Erdbeschreibung des Fürstenthums Ostfriesland und des Harlingerlandes. Emden, S. 398
- Ostfriesischer Kurier vom 25. Juni 2010, S. 1 u. 3