Bundesstraße

Aus Norder Stadtgeschichte
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Bundesstraße 72

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Basisdaten
Stadtteil/-viertel Süderneuland II u.a.
Erschließungsjahr 1847-1859
Namensgebung 1949
Historische Namen Sandweg

Chaussee

Landstraße

Bundesstraße 70

Die Bundesstraße (B 72) beginnt - auf die Stadt Norden bezogen - in Süderneuland II, im weiteren Verlauf führt sie weiter durch Nadörst, Altendeich, Ekel und Ostlintel bis nach Norddeich. Es ist die einzige Bundesstraße innerhalb der Stadtgrenzen und wird umgangssprachlich auch scherzhaft Ostfriesen-Highway genannt. Ihren Beginn hat die Bundesstraße bei Emstek im Landkreis Cloppenburg.

Geschichte

Herkunft des Namens

Der Name geht aus der straßenrechtlichen Widmung als Bundesstraße hervor. Derartige Straßen stehen im Zuständigkeitsbereich der Bundesbehörden. Nachgeordnete Straßen sind die Landesstraße, die Kreisstraßen und die Gemeindestraßen.

Entwicklung

Anmerkung: Die nachfolgenden Angaben beziehen sich grundsätzlich auf den innerhalb der Stadtgrenze von Norden befindlichen Teil der Bundesstraße.

Die heutige Bundesstraße verläuft in weiten Teilen parallel zum Alter Postweg, welcher von Norden weiter in Richtung des Brookmerlandes führte. Er war - wie die allermeisten Straßen Ostfrieslands - lange Zeit unbefestigt, was ihm aufgrund seiner Fahrbahnbeschaffenheit auch den Namen Sandweg einbrachte. Jedoch war er nur in Teilen sandig und in viel größeren Teilen äußerst morastig. So war es nicht ungewöhnlich, dass man selbst mit einem Pferd gut zwei Stunden bis nach Emden benötigte.[1] Nach Regenfälle dürfte diese Zeit noch um einiges höher gelegen haben. Fußgänger schafften es von Aurich nach Marienhafe gar erst in drei Stunden.[2]

Bereits 1808 - während der Französischen Besatzungszeit - gab es erste Planungen zum Bau einer Chaussee von Emden nach Norden, doch wurden diese wegen der horrenden Kosten und der Schwierigkeiten bei der Beschaffung des notwendigen Straßenbaumaterials wieder verworfen.[3] Statt der Straßen fasste man nun den Entschluss zur Anlage weiterer Transport- bzw. Treckfahrtskanäle. In Bezug auf Norden sollte sowohl ein Kanal in Richtung Emden und einer über Berum und Dornum in Richtung Wittmund gebaut werden.[4] Der geplante Streckenverlauf entsprach wahrscheinlich in etwa dem der späteren Bahnstrecke Rheine-Norddeich Mole und Ostfriesischen Küstenbahn. Auch zu diesem Bau kam es schließlich nicht, nachdem die Franzosenzeit 1816 endete und Ostfriesland unter der folgenden hannoverschen Herrschaft lange Zeit kaum Beachtung von Seiten der neuen Regierung fand.

Erst in den 1840er Jahren wurden die alten Pläne wieder aufgegriffen. König Georg V. von Hannover (Der blinde König) hatte die Insel Norderney für sich entdeckt und besuchte sie regelmäßig zur Sommerfrische.[5] Nach ihm wurde auch der Ort Georgsheil in der Gemeinde Südbrookmerland (am Städtedreieck Aurich-Emden-Norden) benannt, wo er angeblich Nachricht vom Heil seines neugeborenen Sohnes erfuhr.[6] Die Planungen kamen 1845 zum Abschluss.[7][8] Doch obwohl die Regierung in Aurich am 4. Dezember 1845 an den Norder Magistrat verlautbaren ließ, die Erdarbeiten werden bald beginnen, verzögerte sich das Vorhaben immens.[8] Der Baubeginn erfolgte letztlich erst am 27. September 1847.[9][10]

Erst 1859 waren alle Bauarbeiten abgeschlossen. Diese Chaussee bestand aus einer dreieinhalb bis sechs Meter breiten Steinbahn aus Kopfstein- und Klinkerpflaster, sowie Kleinpflaster mit Steinschlagunterbau, einem drei Meter breiten Sommerweg (unbefestigter, nur außerhalb der Regenzeit befahrbar) und einem Fußweg von eineinhalb bis zwei Metern.[11] Um den Fahrweg benutzen zu dürfen, mussten Reisende an mehreren Orten, den sogenannten Hebestellen, ein Wegegeld entrichten. Der Tarif berechnete sich nach der Entfernung: 1.200 Ruten bis 1 Meile der volle Tarif, 600 Ruten bis 1.200 Ruten den halben Tarif; die Tariftabelle musste an der Hebestelle ausgehängt sein.[12]

Die Befestigung war Ausfluss dessen, dass die alten Straßen eines Königs nicht würdig seien und jedes Mal wieder neu hergerichtet werden mussten, nachdem sein umfangreicher Tross die Wege gequert hatte. Die Stadt Norden bemühte sich daher bereits seit dem 17. März 1838 um einen Anschluss an das Landstraßennetz, am 16. August 1842 erteilte die königliche Regierung die Zusage, obgleich sich die Norden an den Gesamtkosten in Höhe von 18.000 Reichstalern beteiligen musste.[9][13]

Bei den Planungen erwog man, die neue Chaussee auf dem Alten Postweg verlaufen zu lassen, kam jedoch schnell zu dem Entschluss, dass diese Wegstrecke zu kurvenreich sei, sodass man sich für einen (weitestgehend) geradlinigen Verlauf entschied. Hoffnungen einiger Bürger, die Straße werde mit der Brückstraße zerschlugen sich mit der Anbindung dieser an den Neuen Weg, der sich seitdem zum neuen Südeingang der Stadt entwickelte.[9] Tatsächlich war die Anbindung über die Brückstraße zunächst angeplant und für den Bau sollten die Häuser des Bäckermeisters Grimping und des Schankwirtes Heeren abgebrochen werden. Die der Norder Fehngesellschaft gehörende Brücke sollte durch eine feste Brücke ersetzt werden. Doch dann entschieden sich die Planer dagegen, obwohl die Bewohner in einer Denkschrift inständig darum baten, die Straße an der Brückstraße zu planen. Dafür wollten sie gar - natürlich in Erwartung wirtschaftlicher Vorteile durch mehr Kunden - unentgeltlich Teile ihrer Grundstücke hergeben. Als Gründe führten die Planer an, dass der neue Weg gen Neuen Weg der kürzeste, sicherste und geradeste Weg in die Stadt sei.[14]

Als die königliche Landdrostei bzw. die Planer die Stadt für den Straßenausbau verstärkt zur Kasse bitten wollte, führte dies in Politik und Verwaltung zu Uneinigkeit, die sich der Lütetsburger Graf zueigen machen wollte und bei der Landdrostei die Verlegung der Bundesstraße möglichst eng an Bargebur zu erwirken, das damals noch zu Lütetsburg gehörte. Erst nachdem 220 angesehen Bürger den Magistrat aufforderten, die geforderten 4.000 Taler aufzubringen, beschloss man dies am 18. Juli 1845. Im September erfolgte dann die Antwort der Landdrostei.[15]

Für den Bau der Chaussee müsste das Uken'sche Haus am südlichen Neuen Weg weichen.

Für den Anschluss an das Telegrafennetz wurden die Leitungen neben der Chaussee verlegt. Trotz aller Schwierigkeiten konnte nach einer Bauzeit von etwas mehr als zweieinhalb Monaten am 28. Juni 1858 die einadrige Telegrafenleitung von Emden über Norden nach Norderney wie geplant rechtzeitig zur Sommersaison in Betrieb genommen werden. Damit hatte Norden im Sommer 1858 erstmals eine Telegrafenstation bekommen, die Postbeamte im Postamt bedienten.[16]

Seinen heutigen Namen hat die Straße naturgemäß erst nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland erhalten, wobei schon früher die Bezeichnung Chaussee 72 üblich war (der Teil von Georgsheil nach Aurich war die Chaussee 71).[11] Die Bundesstraßen hießen später dann Reichsstraße.

Seit ihrem Ausbau im Jahre 1971 bis zur Umbenennung 1995 trug sie die Kennung 70. Danach bekam sie ihre historische Kennung 72. Für gewöhnlich nannte man sich jedoch nicht Bundes- oder Reichsstraße, sondern Chaussee oder Landstraße. Für den Ausbau der (damaligen) Bundesstraße 70 um das Jahr 1970 mussten einige alte historische Bauten dem Stadtbild weichen, so etwa das Haus Am Markt 54, einer Filiale des späteren Supermarktes Anton Götz. Auch der sogenannte Pannkooksboom, eine 250 Jahre alte Linde an der Norddeicher Straße, wurde dafür gefällt.[17]

Im Jahr 2009 wurde die Umgehungsstraße fertiggestellt. Dadurch verloren die Bahnhofstraße, der Burggraben, der westliche Teil von Am Markt und die Norddeicher Straße ihre Bedeutung als (Teil der) Bundesstraße und wurden zur Landesstraße (L 27).

Gebäude und Plätze

In der Straße finden sich einige Wohnhäuser und Höfe, eine Pension und ein Multibetrieb in den Geschäftsräumen eines ehemaligen Autohauses (Mercedes-Benz Beninga und Schmehl, später Nebenstelle von Mercedes-Benz Kannegiesser). An der Ecke zum Südring, welche in das Gewerbegebiet Leegemoor führt, befindet sich eine Tankstelle. Erwähnenswert ist auch die Pomologie, die sich auf der westlichen Straßenseite befindet.

Parallel zur Bundesstraße verläuft östlich der Straße der Berumerfehnkanal. Westlich, ebenfalls weitestgehend parallel, verläuft die alte Deichlinie, die bis zur Eindeichung von Süderneuland um 1556 das Land vom Meer trennte. Nahe des Ostermarscher Kreisels befindet sich seit 2016 eine Küstenschutzhalle der Norder Deichacht, in der vor allem leere und gefüllte Sandsäcke sowie Befüllmaschinen nebst entsprechenden Baustoffen gelagert werden.

Eine Besonderheit der Bundesstraße ist die historische Nummerierung der Gebäude. Diese verlaufen nicht auf- bzw. absteigend ihrer Anordnung entlang der Straße, sondern gehen auf historische Gepflogenheiten zurück, nach der Häuser ihre Nummern entsprechend des Zeitpunkts ihrer Bebauung erhielten. Das erste Haus an einer Straße trug so die 1, das zweite die 2 und so weiter. Eine solche Nummerierung findet sich heute bundesweit nur noch sehr vereinzelt, zum Beispiel auf der ostfriesischen Insel Baltrum. Daher wirkt die Nummerierung der Häuser entlang der Bundesstraße teilweise konfus. So folgt beispielsweise auf die Hausnummer 144 die Nummer 156 und darauf wiederum die 140. In Norden findet man dies nur noch hier und am Verschönerungsweg sowie am Leegelandweg, die ebenfalls zu Süderneuland II gehören.

Am 12. April 2021 musste das Wohnhaus mit der Nr. 139 für den Bau der Entwässerung des gegenüberliegenden Grundstück weichen. Hier entstand seit März 2021 ein neuer toom Baumarkt, welcher den zu klein gewordenen Markt an der Gewerbestraße (Baujahr: 1997) ersetzte und im August 2022 fertiggestellt wurde.

Ansonsten befinden sich im südlichen Bereich der Bundesstraße, in Richtung Osteel, mehrere historische Gulfhöfe, so etwa der Hof Gerdes und der Hof Tjaden. Ein weiteres bedeutendes Gebäude hier ist die Alte Nadörster Schule. An der heutigen Bundesstraße 116 befand sich früher eine Lackfabrik. Im Winkel zum Bahnhofsweg befand sich einst ein Bunker aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Galerie

Einzelnachweise

  1. Wiemann, Harm / Engelmann, Johannes (2002): Alte Wege und Straßen in Ostfriesland, Leer, S. 54
  2. Wiemann, Harm / Engelmann, Johannes (2002): Alte Wege und Straßen in Ostfriesland, Leer, S. 161
  3. Wiemann, Harm / Engelmann, Johannes (2002): Alte Wege und Straßen in Ostfriesland, Leer, S. 149
  4. Wiemann, Harm / Engelmann, Johannes (2002): Alte Wege und Straßen in Ostfriesland, Leer, S. 150
  5. Gerdes, Ute (2018): 200 Jahre Ortsteil Nadörst (Online-Veröffentlichung)
  6. Beschreibung von Georgsheil in der historischen Ortsdatenbank der Ostfriesischen Landschaft
  7. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 88
  8. 8,0 8,1 Canzler, Gerhard (2002): Doornkaat. Eine Firmenchronik, Norden, S. 33
  9. 9,0 9,1 9,2 Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 123
  10. Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 52
  11. 11,0 11,1 Bourdeaux, Jürgen (2020): Peter Bourdeaux. Kaufmann und Telegrafist in Norden, Bad Mergentheim, S. 34
  12. Bourdeaux, Jürgen (2020): Peter Bourdeaux. Kaufmann und Telegrafist in Norden, Bad Mergentheim, S. 34f.
  13. Dorsch, Thomas / Wenz, Martin (2003): Norden / Ostfriesland. Denkmalpflegerische Zielplanung für Osterstraße und Neuen Weg, Hameln, S. 5
  14. Klein, Walter (1950): Die Brücke über das Galgentief in Norden (Ostfriesland). Ihre Entstehung im Jahre 1848 und ihre Erneuerung im Jahre 1950, Norden, S. 1
  15. Klein, Walter (1950): Die Brücke über das Galgentief in Norden (Ostfriesland). Ihre Entstehung im Jahre 1848 und ihre Erneuerung im Jahre 1950, Norden, S. 2
  16. Bourdeaux, Jürgen (2020): Peter Bourdeaux. Kaufmann und Telegrafist in Norden, Bad Mergentheim, S. 35
  17. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 125

Siehe auch