Weinhaus

Aus Norder Stadtgeschichte
(Weitergeleitet von Wille Meppen)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Weinhaus

Die Karte wird geladen …
Basisdaten
Entstehungszeit 1804 (vor 1539)
Erbauer Christoph Daniel Heuen
Bauweise Hotel
Erhaltungszustand erhalten
Genaue Lage Am Markt 38

26506 Norden

Das Weinhaus ist ein ehemaliges Hotel mit Gasthof am Norder Marktplatz. Nach einer Nutzung durch das Finanzamt ging das unter Denkmalschutz stehende Gebäude 1981 in die Nutzung der Polizei über, die bis dato Nutzer ist. Heute trägt ein Hotel in der Golfstraße ebenfalls diesen Namen, welches sich den guten Namen zu Eigen machte und vom den Nachfolger eines früheren Eigentümers des Weinhauses eröffnet wurde.

Geschichte

Ursprünglich war das Weinhaus im Besitz der Kirche, die wohl auch Erbauer des Gebäudes ist. Es handelte sich ursprünglich um einen Gulfhof, der in einigen Räumlichkeiten gastwirtschaftlich genutzt wurde. Genannt wurde es erstmals 1539, als Ernst Friedrichs von Wicht von einem Unfall am Weinhaus ("ante oenopolium") berichtet. Ein Diener von Graf Enno II. nahm die Zügel eines Pferdes zu kurz, sodass das geführte Tier den Unglücklichen an die Wand des Hauses drängte und ihm den Brustkorb zerdrückte. Eine Schank- und Gastwirtschaft wird hier zu dieser Zeit bereits betrieben.[1]

Im Jahre 1568 wird Frans Wyntapper als Pächter des Weinhauses genannt. Auch er betreibt hier eine Schank- und Gastwirtschaft.[2] In der Zeit um 1579 war Everwien von Colln Pächter des Weinhauses.[3] 1612 hieß der Pächter Thomas Johanßen Krämer, welcher aus Emden stammte. Am 17. März 1615 verpachteten Kirchenverwalter Ulben Hajunga und Wille Meppen mit Zuziehung des Bürgermeisters Erhard Lüppena sowie Ludolph Mannena das Weinhaus dem Hero Gerritz auf vier Jahre. Doch bereits 1618 wird ein Wilhelm in dat Winhues als Pächter genannt. 1648 hatte der Apotheker Johann Rudolf Siltmann das Weinhaus gepachtet, 1672 pachtete es ein Mann mit dem Nachnamen Talke.[1]

Das Weinhaus belieferte die Ludgerikirche mit Wein für das Abendmahl.[4] Auch war es im 16. Jahrhundert Versammlungsort der Theelacht.[1] Seitdem und - vermutlich noch bis zum Neubau des Amtsgerichts im Jahre 1836 - war es zudem oftmals Räumlichkeit für Zeugenvernehmungen in Gerichtsprozessen des Stadtgerichts.[5]

Am 30. Januar 1613 verlieh Graf Enno III. dem Weinhaus das Privileg, dass alle "Kertz-Käuffe und Commissiones, Actus und Verrichtungen", wie auch alle anderen bürgerlichen Zusammenkünfte nirgendwo anders als hier abgehalten werden sollten.[1] Dies implizierte auch die öffentlichen Versteigerungen, deren Erlös ab 1630 durch Verordnung von Ulrich II. Cirksena dem 1567 gegründeten und 1631 nach ihm zum Dank benannten Ulrichsgymnasium zuteil wurde. Der Begriff Kertz-Käuffe rührt daher, dass zu Beginn der Versteigerungen eine Kerze angezündet wurde. Die Bietenden konnten solange ein Gebot abgeben, bis die Kerze niedergebrannt war.[6] Die Auktionen verliefen nach einem festgelegten Muster und - anders als heute - wurde zunächst ein hohes Gebot abgegeben, das immer niedriger angesetzt wurde, bis sich ein Kaufinteressant fand.[7] Doch nicht nur Güter wurden versteigert, sondern auch Privilegien bzw. Vorrechte. Wichtigste Versteigerung waren die Hafenrechte, die einmal jährlich versteigert wurden. Die Einnahmen aus den Versteigerungen waren wichtiger Teil des städtischen Finanzhaushalts. Für den Eintritt müssten die Teilnehmer ein sogenanntes Stübergeld entrichten, das dem Armenhaus zugute kam.[8]

Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und des Siebenjähriges Krieges (1756-1763) diente der Saal des Weinhauses als Unterrichtsraum für Schüler des Gymnasiums. Ferner sollen vor 1751 bis zu 20 minderbemittelte (= wenig vermögende) Kinder in einem Anbau des Weinhauses untergebracht worden sein, was auf einen entsprechenden Erlass von Ulrich II. zurückging, wonach notdürftigen Kindern dort sowohl ein Mittagessen als auch eine Unterkunft gegen geringes Entgelt zur Verfügung gestellt werden sollte.[9] Dies war ein auf den Wirt des Weinhaus beschränktes Privileg, der als einziger die Bewirtung der Schüler durchführen durfte. Anderen Kindern, als den notdürftigen, dürfte er nichtsdestotrotz ebenso eine Mahlzeit anbieten. Während er mit der Preisgestaltung und der Essenswahl bei den Notdürftigen eingeschränkt war, konnte er die Speisen sowie die Preisgestaltung bei den sonstigen Kindern weitestgehend frei gestalten, wenngleich Ulrich II. ihm auftrug, einen angemessenen und keineswegs einen überteuerten Preis zu verlangen.[10]

1804 errichtete Christoph Daniel Heuen als neuer Inhaber einen Neubau an der bisherigen Stelle.[8][11] Dieser war seit 1779 Pächter und ab 1803 Eigentümer des Weinhauses.[12][13] Der Kaufpreis betrug 10.600 Gulden.[1][14] Einige mittelalterliche Gebäudeteile, so etwa der Keller, blieben hierbei erhalten. Das bei den Versteigerungen zu zahlende Stübergeld ging seitdem in die Kasse des Wirtes, das er für den Verzehr einbehielt.[8] Das Privileg der Kerzenkäufe konnte sich auch Heuens Sohn Ernst Georg, der seit 1819 der Eigentümer war, bis 1826 bewahren, ehe die hannoversche Regierung die Fortführung dieser Tradition schließlich ablehnte.[13][15]

Eine Besonderheit bei den Versteigerungen und Verkäufen jener Zeit im Weinhaus war, dass bei größeren Aktionen eine Tonne, bei kleineren eine halbe Tonne Fassbier spendiert wurde. Außerdem wurden Pfeifen und Tabak geraucht. Der Wirt erhielt jedes Mal 12 Reichstaler zugebilligt und zwar 5 Reichstaler für eine Tonne Bier nebst Pfeifen und Tabak, 2 Reichstaler Entschädigung für das zu liefernde Licht und 5 Reichstaler als Saalmiete. Da natürlich auch sehr viel Bier aus eigener Tasche getrunken wurde, machte der Wirt bei allen größeren Verkäufen eine sehr gutes Geschäft.[1]

Erneut wurde das Weinhaus im Jahre 1813 im Zusammenhang mit dem Seebergskrug in Norddeich erwähnt. Der Betreiber bot den im Weinhaus und im Vossenhus logierenden Gästen einen Kutschenservice zu einer Gastwirtschaft an.[16] Die mit dem Seebergskrug zusammenhängende Werbung gilt als erster Beleg touristischer Werbung für Norddeich.

Am 1. Mai 1833 erwarb Johann Carstens aus Emden das Weinhaus. Da Carstens zur 1848 gegründeten Bürgerwehr gehörte, nutzte diese den Saal im Weinhaus für ihre Zusammenkünfte. Ab 1854 oder 1857 gehörte das Gebäude dem Gastwirt Dippel aus Münden, dessen Witwe es 1898 an den Gastwirt Simmering aus Süderneuland verkaufte, der nach eigenem Bekunden bereits viele Jahre erfolgreich als Hotelier auf Norderney tätig gewesen war.[1] Simmering veräußerte das Weinhaus jedoch noch im selben Jahr an die Gebrüder Schmidt aus Dornum.[17] Die Brennerei Doornkaat unterstützte die neuen Inhaber durch Gewährung von Bürgschaften.[18] So konnten diese das Gebäude 1899 mit einer neuen Fassade versehen.[19]

1903 wurden die von Norderney stammenden Wirtsleute Schuchardt und Hahn neue Eigentümer des Hotels.[20] Zehn Jahre später, im Jahre 1913, verkauften sie es an den Hotelier König, der es nach einigen Jahren seinem Sohn Peter vermachte.[14] 1919 wurde ein neuer Hotelbetrieb im Weinhaus beantragt und am 8. September des Jahres genehmigt, allerdings bereits kurze Zeit später wegen Unrentabilität wieder aufgegeben.[1] Kurz zuvor - am 13. Oktober des Jahres - wurde hier noch der Heimatverein Norderland gegründet.[21] Der Hotelbetrieb war unrentabel geworden, denn die 1883 erbaute Bahnstrecke Rheine-Norddeich Mole wurde 1892 bis zur Mole Norddeich erweitert, sodass die zahlreichen Inselgäste nicht mehr einen Zwischenhalt in Norden machen mussten.[22]

Ab dem 1. Januar 1921 zog das Finanzamt hier ein, der Landkreis Norden hatte das Gebäude kurz zuvor erworben und die Aufgaben des Finanzamtes von dem am Fräuleinshof ansässigen Landratsamt abgetrennt.[8][23] Die große Norder Steuerbehörde entstand, wie auch in vielen anderen deutschen Städten - darunter Wittmund und Jever - in einem Hotel und um die von den Siegermächten auferlegten Reparationszahlungen eintreiben zu können.[24] Die Familie König zog in das benachbarte Gebäude, das im Volksmund auch Pumphaus genannt wurde.[14] Das heutige Hotel Weinhaus an der Golfstraße in Norddeich wurde in den 1970er Jahren von dem Gastwirt Pöttke eröffnet.[25] Pöttke war der Neffe der letzten Weinhaus-Besitzerin Minna Wendelina König und ein Enkel des Gastwirts Gustav König.

1951 übernahm die Landesfinanzverwaltung das Gebäude, hintere Räumlichkeiten wurden von der Kirchengemeinde genutzt. Bei Erkundungen im Jahre 2018 wurde noch ein - offenbar übersehener - Stapel von Standardformularen des Finanzamtes in einem der Kellerräume gefunden.[2] Von Anfang an wurden die baulichen Gegebenheiten in dem Gebäude für die Bediensteten des Finanzamtes sowie für Besucher als Zumutung empfunden. Insbesondere die halbdunklen Diensträume wurden beklagt. Aus Platzmangel war die Behörde bereits seit August 1963 gezwungen, ein weiteres Gebäude an der Westseite des Marktplatzes zu beziehen.[24] Auch der Sparzwang der letzten Jahrzehnte durch die Wirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg standen Sanierungsmaßnahmen entgegen, sodass das Gebäude seit den 1920er Jahren praktisch nicht mehr saniert wurde.[25]

Nachdem das Finanzamt schließlich 1981 in einen Neubau am Mühlenweg zog, richtete das Land Niedersachsen hier eine Dienststelle (Kriminalkommissariat Norden) der Kriminalpolizei ein.[26] Ein Abriss zugunsten des Schaffens von Parkplätzen im Zuge des Ausbaus der Bundesstraße wurde trotz des Ansinnens einiger Norder Bürger nicht stattgegeben.[24] Bis heute ist die Polizei Norden der Hauptnutzer des Gebäudes, die anderen Räumlichkeiten werden von der Ludgerigemeinde genutzt.[17] Zur Erinnerung an die frühere Nutzung des Gebäudes wurde 1984 eine Tafel an der südlichen Außenmauer angebracht.[27]

Galerie

Trivia

Neben dem Weinhaus befand sich die Westerpoort (Westerpforte), eine von drei historischen Zugängen zum Alten Friedhof.

In der Zeit um 1812 hatte das Gebäude die Hausnummer 558.[28]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 Schreiber, Gretje (1994): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 104ff.
  2. 2,0 2,1 Der Weinkeller des Norder Hotel Zum Weinhaus, abgerufen am 14. April 2021
  3. Schreiber, Gretje (1992): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 93
  4. Bach, Adolf (1943): Deutsche Namenkunde / Band 1: Die deutschen Personennamen, Berlin, S. 415
  5. Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 27
  6. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 21
  7. Canzler, Gerhard (1997): Alt-Norden, Weener, S. 28
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 12
  9. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 19
  10. Canzler, Gerhard (2005): Die Norder Schulen, Weener, S. 22
  11. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 9
  12. Brückner, Annemarie / Gerdes, Edo (1984): So war es damals. Bilder aus dem alten Norden, Leer, S. 88
  13. 13,0 13,1 Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 66
  14. 14,0 14,1 14,2 Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 73
  15. Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 12
  16. Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 322
  17. 17,0 17,1 Canzler, Gerhard (1994): Norden. Museen im Alten Rathaus, Norden, S. 72
  18. WirtA NW WAN F 20 Nr. 45
  19. Liste der Baudenkmale in Norden, abgerufen am 11. November 2021
  20. Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 13
  21. Canzler, Gerhard (1994): Norden. Museen im Alten Rathaus, Norden, S. 7
  22. Canzler, Gerhard (1989): Norden. Handel und Wandel, Norden, S. 125
  23. Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 12
  24. 24,0 24,1 24,2 Ostfriesischer Kurier vom 15. Februar 1964
  25. 25,0 25,1 Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 75f.
  26. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 91
  27. Canzler, Gerhard (1994): Norden. Museen im Alten Rathaus, Norden, S. 53
  28. Cremer, Ufke (1938): Die Hausnummern Nordens im Jahre 1812, Norden, S. 2

Siehe auch