Gasthof Zur Börse

Aus Norder Stadtgeschichte
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Gasthof Zur Börse

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Basisdaten
Entstehungszeit vor 1850
Erbauer unbekannt
Bauweise Großes Stadthaus
Erhaltungszustand 1972 abgebrochen
Genaue Lage Am Markt 22

26506 Norden

Der Gasthof Zur Börse (auch: Ratsstuben; später auch Das Braune Haus) war eine Am Markt 22 befindliche Gastwirtschaft. 1948 wurde der zugehörige Saal zu einem Kino, dem Metropol-Theater umgebaut, das noch bis 1970 existierte. Im Oktober des genannten Jahres wurde der hintere Teil abgebrochen und dem benachbarten Supermarkt Anton Götz einverleibt, der vordere Teil folgte zwei Jahre später.

Geschichte

Die Geschichte der Bebauung des Grundstücks lässt sich bis in das Mittelalter bzw. die frühe Neuzeit zurückverfolgen. Erstmals wurde Ebbeke Ulferdes genannt. Am 28. April 1544 fand eine Erbteilung zwischen Anna Epken und den Erben ihrer verstorbenen Schwester Betken Epken statt. Sie alle waren Töchter des Ebbeke Ulferdes. Bei dieser Erbteilung erhielt Anna das hier in Rede stehende Haus am Markt zum Eigentum.[1][2] 1557 erben Frouwa Crumminga und Ulfert Johannes von Lingen (Enkel von Ebbeke Ulferdes) den Familienbesitz.[1][3]

Am 30. April 1602 kam es zu einem blutigen Zwischenfall, bei dem der Eigentümer des Hauses, Hinrich von Lingen, sein Haus vor den Söldnern des Grafen Enno III. mit Waffengewalt verteidigte. Ursprünglich zum Tode verurteilt wurde von Lingen schließlich verbannt, kehrte 1605 zurück und verstarb 1608 in Norden.[2][4] Seine Mutter überlebte den Tod ihrer drei Kinder. Nachdem sie verstarb, wurde das Haus durch die anderen Erben, darunter Frouwas Bruder Scipio Crumminga, am 13. März 1625 für 2.100 Gulden verkauft. Das Gebäude wechselte wohl einige Male den Besitzer, darunter war auch Wessel Heren, Diakon der Mennonitenkirche.[2]

Am 23. Mai 1746 wurde Claas Abraham Decknatel Eigentümer des Hauses und nach ihm sein Sohn und Erbe Abraham Classen Decknatel, der auch schon Eigentümer des Hauses Am Markt 20 war. Dessen Sohn wiederum, benannt nach ihrem Großvater, erwarb von seinen beiden Halbschwestern die anteiligen Besitzansprüche am Haus, in dem 1777 der Stiefvater Peter H. Rysdyck wohnte. Hier wird ersichtlich, dass sich zu jener Zeit eine Brauerei befand.[5]

Ab 1851 war Wilhelm Reemts Wilms Inhaber des des Hauses, der hier eine Korn-, Kalk- und Sandhandlung eingerichtet hatte.[5][6] In den zum Haus gehörenden Stallungen konnten die Besucher des Schweinemarktes ihre Pferde unterstellen.[5][6][7] Der Nachfolger Willms', Gustav König, richtete schließlich eine Gastwirtschaft ein und erweiterte sie 1898 baulich um einen Saal, in dem sonntäglich Tanzveranstaltungen wie auch Versammlungen abgehalten wurden.[5][7]

1903 wurde im Gasthof der Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden gegründet, aus dem später der DEHOGA Kreisverband Norden erwuchs.[8] Zum erstem Vorsitzender wurde Peter Remmers, gewählt.[8][9] Dieser hatte den Gasthof am 1. Oktober des Jahres übernommen.[5][6][7] Remmers ließ den Saal erweitern und die drei darüber befindlichen Kornlager noch bis 1927 bestehen.[5][7] Die westliche Wanderung ließ Remmers durch eine hölzerne Dachveranda ersetzen.[5]

Von 1923 bis 1926 war der Gasthof das Stammlokal der Freimaurerloge Zu den drei Sternen, die nachfolgend in das Deutsche Haus wechselten.[10] Am 15. April 1926 führte die erst etwa fünf Monate zuvor gegründete Niederdeutsche Bühne hier ihr erstes Theaterstück, die Komödie De Vergantschoster der deutschen Schriftsteller Alma Rogge auf.[11] Im gleichen Jahr feierte die Feuerwehr Norden im Gasthof ihr 40-jähriges Bestehen. Gastwirt Remmers war von 1918 bis 1937 der Hauptmann der Norder Wehr.[12]

Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden 27 Sozialdemokraten und Kommunisten von diesen am 3. Mai 1933 im Gasthof schwer misshandelt.[13][14] Die NSDAP erklärte den Gasthof kurz zuvor zu ihrem Parteilokal.[14] Statt einzugreifen stellte der Gastwirt das Radio auf volle Lautstärke, da der durch die Misshandlung entstandene Lärm bis auf die Straße drang.[15] Die Täter wurden nach dem Krieg zu Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und zwei Jahren verurteilt.[16]

Im November 1934 wird von hier aus das von Marie Ulfers verfasste Hörspiel Dat Arfdeel ut Ostindien (übersetzt: Das Erbteil aus Ostindien) via Rundfunk übertragen, das von den Schauspielern der Niederdeutschen Bühne eingespielt wurde.[17]

Seit dem 31. März 1933 (nach anderen Quellen seit dem 26. April) war die Börse das offizielle Sturmlokal der Norder NSDAP, die hier nicht nur einen Stammtisch, sondern auch ihr Aktionskomittee zur Planung von Aktionen gegen jüdische Mitbürger einrichtete.[18][19] In dieser Zeit wurde das Gebäude auch braun angestrichen, um die Zugehörigkeit zu den braun gekleideten Nationalsozialisten zu zeigen.[20] Irgendwann in jener Zeit gab es in der Börse eine große Schlägerei zwischen der SA und Kommunisten, die erst ein Überfallkommando der Polizei aus Wilhelmshaven beenden konnte.[21]

Als 1942 und 1943 mehrere Ladungen mit wertvollen Möbeln und anderen Gegenständen im Norder Hafen ankamen, lagerten die Nationalsozialisten große Teil davon im Gasthof.[22]

Wenige Stunden nach dem verheerenden Luftangriff auf Emden am 6. September 1944, bei der die ohnehin schon schwer beschädigte Stadt nahezu restlos zerstört wurde, kamen im Gasthof annähernd hundert Norder Frauen zusammen und schmierten gut 10.000 Doppelschnitten für die Emder Bürger. Nahezu 150 Pfund Butter sowie 350 Pfund Wurst wurden dabei in nur wenigen Stunden verarbeitet.[23]

Im Oktober 1948 - die Eigentümer hatten ihren Besitz altersbedingt verkauft - wurde der Saal des Gasthofs zu einem Kino (genannt: Kammerspiele) umgebaut. Seit 1950[6][24] (oder 1952)[5] wurde die Gastwirtschaft von Wilhelm Franke übernommen und unter dem Namen Ratsstuben geführt.[5][7] Von da an bis zur Schließung 1970 wurde das Kino von der Familie Remmers unter dem Namen Metropol-Theater bekannt, doch war zuletzt kaum mehr als ein schmuddeliges Pornokino. Bereits 1967 wurde das Gebäude von Anton Edzard Götz erworben, der den hinteren Gebäudeteil abbrechen ließ.[25] Das Vorderhaus mit einer Schankwirtschaft blieb noch bis 1972 stehen.[6][24]

Später dehnte Götz seinen Supermarkt auf das gesamte ehemalige Kinogelände aus.[6][25] Bis zum Abbruch 1972 blieb der Gasthof dann auch der Hauptveranstaltungsort für die Stücke der Niederdeutschen Bühne, seitdem nutzt sie den im selben Jahr errichteten Theatersaal im Schulzentrum Ekel. Eine kleine Gastwirtschaft verblieb jedoch auch in dem neuen Komplex, die von dem Gastwirt Bruno Fiebig geführt wurde.[26][27] Diese ist jedoch längst geschlossen.

Galerie

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Schreiber, Gretje (1992): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 75
  2. 2,0 2,1 2,2 Schreiber, Gretje (1992): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 76
  3. Schreiber, Gretje (1992): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 10
  4. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 54
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 5,6 5,7 5,8 Schreiber, Gretje (1992): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 77
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 Brückner, Annemarie / Gerdes, Edo (1984): So war es damals. Bilder aus dem alten Norden, Leer, S. 85
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 51
  8. 8,0 8,1 WirtA NW WAN K 5
  9. Feuerwehr Norden (1986): 100 Jahre Freiwillige Feuerwehr der Stadt Norden, Norden, S. 46
  10. Geschichte der Norder Freimaurerloge, abgerufen am 17. Juni 2021
  11. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 23
  12. Feuerwehr Norden (1986): 100 Jahre Freiwillige Feuerwehr der Stadt Norden, Norden, S. 46
  13. Haddinga, Johann / Stromann, Martin (2001): Norden/Norddeich. Eine ostfriesische Küstenstadt stellt sich vor, Norden, S. 46
  14. 14,0 14,1 Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 29
  15. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 32
  16. Haddinga, Johann (1988): Stunde Null. Ostfrieslands schwerste Jahre, Norden, S. 210
  17. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 24
  18. Ökumenischer Arbeitskreis (2021): Kleiner Rundgang durch Norden, Norden, S. 6
  19. Ostfriesischer Kurier vom 31. März 1933
  20. Forster, Hans / Schwickert, Günther (1988): Norden. Eine Kreisstadt unterm Hakenkreuz, Norden, S. 53
  21. Unbekannter Autor: Wir wohnten neben euch. Norden zur Zeit des Nationalsozialismus (Online-Publikation als .pdf-Dokument)
  22. Haddinga, Johann (2001): Norden im 20. Jahrhundert, Norden, S. 41
  23. Haddinga, Johann (1995): Kriegsalltag in Ostfriesland, Norden, S. 154
  24. 24,0 24,1 Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 39
  25. 25,0 25,1 Geschichte des Metropol-Theaters, abgerufen am 17. Juni 2021
  26. Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden (1973): Chronik. 70 Jahre Wirteverein für Stadt und Landkreis Norden, Norden, S. 51
  27. Schreiber, Gretje (1992): Der Norder Marktplatz und seine Geschichte bis heute, Aurich, S. 78

Siehe auch