Bürgerwehr

Aus Norder Stadtgeschichte
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Bürgerwehr

Basisdaten
Gründung 16. Mai 1848 (1919)
Auflösung 8. April 1857 (1919)
Rechtsform keine
Hauptsitz Hof Selden Rüst

in Westgaste

Eine Bürgerwehr wurde in der Geschichte der Stadt Norden zwei Mal gebildet. Der erste Auslöser waren die Wirren des Revolutionsjahrs 1848, der zweite das Chaos nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Beide Bürgerwehren hatten das erklärte Ziel, die Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten, hatten dabei jedoch nur mäßigen Erfolg und lösten sich relativ schnell wieder auf.

Da auch die Bürgerwehr manchmal als Bürgergarde bezeichnet wird, darf sie nicht mit der eigentlichen Bürgergarde, der Bürgerkompanie verwechselt werden.

Geschichte

Die erste Bürgerwehr entstand in den Wirren des Revolutionsjahres 1848 (Märzrevolution), obgleich ihre Anfänge bereits am 15. Mai 1847 zu suchen sind.[1][2] Sie bestand aus vier Kompanien zunächst freiwilliger, später dienstverpflichteter Bürger und erreichte daher schon früh mit 450 Mann die Stärke eines Bataillons.[1][3] Als Kommandant fungierte der hochangesehene Norder Tabakfabrikant Arend Wilhelm Steinbömer.[4] Ihm standen ein Premierlieutnant und drei Seconde-Lieutenant zur Seite. Nach dem Reglement der Wehr bestand sie aus vier Kompanien, die von je einem Hauptmann befehligt wurden, dem ein Feldwebel nachgeordnet war. Die einzelnen Züge innerhalb der Kompanien wurden von Unteroffizieren (Fähnrichen) geführt. Jeder Zug hatte zudem einen eigenen Fahnenträger.[2]

Die Bewaffnung wurde vorwiegend aus eigenen Mitteln der Mitglieder gestellt, denn schon seit dem 17. Jahrhundert waren die Norder Bürger aufgerufen, Waffen für den Verteidigungsfall vorzuhalten.[5] Hinzu kamen (gebrauchte) Gewehre und Piken, die Steinbömer günstig auftreiben konnte.[3] So bestellte er beispielsweise 300 Gewehre mit Pulver und Bajonetten bei Cremer, die aus Amsterdam importiert wurden.[2] Später lieferte Cremer noch Koppelriemen und Feuersteine für die Gewehre.[6] Die Munition wurde sodann im sogenannten Pulverturm nahe der Kolkbrücke aufbewahrt.[7]

Ein Gemälde des Johann Rudolf Siltmann, das die Bürgerwehr 1848 bei einer Parade in Höhe des Alten Weinhauses zeigt. Ausgestellt im Heimat- und Teemuseum.

Ursächlich für die Gründung war einerseits der Wille der Bürger, ihre Stadt vor dem aufkommenden Chaos zu schützen, andererseits vor allem die Tatsache, dass die gesamte Gemeinde für durch Tumulte verursachte Schäden aufkommen musste, das den Nordern Bürgern natürlich zutiefst widerstrebte.[1] Angeblich sei die Aufstellung zudem auf ausdrücklichen Willen der hannoverschen Regierung beschlossen worden, um sich gegen den aufkommenden Konflikt mit Dänemark wappnen.[7] So kam es, dass die königliche Regierung die Bürgerwehr auch finanziell unterstützte.[3] Die Uniformierung, Bewaffnung und Ausbildung wurde hierbei durch ein eigenes Reglement festgelegt. Die Mitglieder trugen grüne Röcke und Wachstuchkappen mit schwarz-rot-goldenen Kokarden.[8] Exzerzierübungen wurden zunächst auf dem späteren Gelände der Sägemühle Betriebsamkeit (heute Onno Behrends Tee) durchgeführt.[9]

Die Bürgerwehr, zu deren Mitgliedschaft bald jeder Bürger zwischen 20 und 60 Jahren dienstverpflichtet wurde, wurde schnell ein wesentlicher Faktor für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der abgelegenen Seestadt. Wie in allen nordwestdeutschen Küstenregionen übertrug man ihr gar den Küstenschutz für den Fall eines dänisch-deutschen Krieges.[7][2] Einen ersten, echten Einsatz hatte die Bürgerwehr dadurch nach Sichtung eines dänischen Kriegsschiffes am 8. Juni 1848, das Teil der dänischen Seeblockade anlässlich des Schleswig-Holsteinischen Krieges war, durch die die Dänen den gesamten Schiffsverkehr in Nord- und Ostsee lahmlegten. Angeblich war dieses vor Norderney vor Anker gegangen. Die Bürgerwehr - oder zumindest der mutige Teil von ihr - war bereits im Begriff, nach Norderney zu verlegen, als die Nachricht eintraf, dass das Schiff wieder abgelegt hatte.[1][8]

Norder Frauen stifteten der Bürgerwehr zum 11. Oktober 1848 eine selbst gestickte Bataillonsfahne, die an diesem Tage nach einer feierlichen Fahnenweihe auf dem Marktplatz überreicht wurde.[1] Auch lange nach der Revolution bestand die Wehr fort, 1849 wurde ihr eine Musikapelle, das Janitscharen-Corps Silistria angegliedert. Der Exerzierplatz wurde nun am Hof Selden Rüst, damals noch eine Gastwirtschaft, eingerichtet. Dort fand seit 1850 auch das Bürgerwehr-Scheibenschießen statt.[1] Für reguläre Zusammenkünfte nutzte man den Saal im Weinhaus.[10]

Die Kapelle bestand bis zum 11. Juli 1855, zum 8. April 1857 wurden dann alle Bürgerwehren im Königreich Hannover per Dekret von König Georg IV. aufgelöst.[1][6] Die 406 Gewehre der Bürgerwehr wurden von der Stadt Norden 1861 nach Bonn verkauft.[6] Als Nachfolger der Bürgerwehr im weiteren Sinne (der Traditionspflege; Kameradschaftsschießen etc.) kann der Schützenbund Norden betrachtet werden. Die Fahne der Bürgerwehr ging jedoch nach einigen Jahren der städtischen Verwahrung an den Männer-Turn-Verein zu Norden, welcher darum bei Bürgermeister Taaks gebeten hatte. Nachdem man versicherte, man werde die Fahne ehren sowie allabendlich zum Rathause zurückbringen, wurde sie dem Verein überlassen, damit dieser damit am jährlichen Schützenfest teilnehmen könne.[11]

Abgrenzung zur Bürgerkompanie

Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts hat es in Norden eine Bürgerkompanie gegeben. Diese dienten der Unterstützung der Stadtwache und hatten zeitweise die Nachtwache zu halten.[12] Die amtlich gegründete offizielle Bürgerkompanie ist jedoch keinesfalls mit der Bürgerwehr zu vergleichen, wenngleich ihr ähnliche Aufgaben übertragen wurden.

Spätere Bürgerwehren

Nach den Wirren des Ersten Weltkriegs formierte sich in Westermarsch I eine Bürgerwehr, der 73 Mann angehörten. Die Wehr hatte keine Waffen, diese waren jedoch angefordert. Zu einer Bewaffnung kam es durch die Gründung der Weimarer Republik jedoch nicht mehr. Auch in Westermarsch II entstand am 5. September 1919 eine Einwohnerwehr, deren Stärke 57 Mann umfasste, die mit 50 Waffen ausgerüstet waren. Damit war sie zwar zahlenmäßiger kleiner als die von Westermarsch I, letztere hatte jedoch keine Waffen erlangen können.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 85
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Canzler, Gerhard (1994): Norden. Museen im Alten Rathaus, Norden, S. 115
  3. 3,0 3,1 3,2 Behrends, Berend-Heiko (1969): Zwei Jahrhunderte Steinbömer Tabak, Norden, S. 34
  4. Stöver, Christof (1998): Über die Gründung der Norder Bürgerwehr am 16. Mai 1848, In: Ostfriesland Magazin, 5, S. 82f.
  5. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 55
  6. 6,0 6,1 6,2 Canzler, Gerhard (1994): Norden. Museen im Alten Rathaus, Norden, S. 117
  7. 7,0 7,1 7,2 Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 54
  8. 8,0 8,1 Behrends, Berend-Heiko (1969): Zwei Jahrhunderte Steinbömer Tabak, Norden, S. 35
  9. Schreiber, Gretje (2011): Mühlen in Norden und Umgebung, Nr. 15
  10. Canzler, Gerhard (1989): Handel und Wandel, Norden, S. 13
  11. Norder Turnverein (1986): 125 Jahre Norder Turnverein (Festschrift), Norden, S. 19
  12. Cremer, Ufke (1955): Norden im Wandel der Zeiten, Norden, S. 56

Siehe auch